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Das Buck) für Alle Heft 27
Eine prachtvolle Tigerpyramide
Bären völlig abweichende Lebensgewohnheiten erkennen lassen. Auch spie-
len selbstverständlich Alter und Geschlecht dabei eine Rolle. Die Löwin ist
zum Beispiel behender und gewandter als der Löwe. Dieser neigt, je
älter er ist, zum Phlegma und zur Übellaunigkeit und will in seiner Ruhe
nicht gestört werden. Er quittiert dabei jede Aufforderung zur Arbeit mit
dumpfem Gebrüll oder gar durch Prankenschlag. Die geographische Her-
kunft der großen Raubtiere verursacht ebenfalls Abweichungen in ihrem
Benehmen. So weichen der indische Königstiger, der aus Su-
matra stammende Inseitiger und der aus der Mandschurei
stammende Mandschutiger in ihrem Charakter sehr voneinander
ab. Eine große Rolle spielt die individuelle Begabung. Der um-
sichtige Bändiger, dem es darauf ankommt, eine tadellos arbei-
tende Tiergruppe zusammenzustellen, muß besonders für die Dres-
sur geeignete Exemplare um sich vereinigen. Die korrekte Durch-
führnng der „zahmen Tisrdressur" gelingt nur durch Versuche
mit einer größeren Anzahl von Tieren einer Art. Und eine solche
Auswahl wurde erst möglich durch die Entwicklung des Tierhan¬
dels, wie ihn Carl Hagenbeck in großzügiger Weise durchführte
und wie ihn seine beiden Söhne, Heinrich und Lorenz, fortsetzen.
Der erfahrene Dompteur erkennt bald, welch Geisteskind er
vor sich hat. Erweist sich aber der in Probe genommene Dressur-
schüler als schwerfällig und unbegabt, so wird er möglichst bald
ausgeschaltet, um keine unnütze Zeit mit seiner Ausbildung zu
verlieren. Begabte Tiere lernen rasch die von ihnen geforderte
Arbeit begreifen, und dann bedarf es aller Energie von feiten
ihres Lehrmeisters, um sie zu tadellos arbeitenden Künstlern
auszubilden. Unaufmerksamkeit und Nachlässigkeit darf der
Dompteur nicht durchgehen lassen, er muß vielmehr Entglei-
sungen seiner Schüler mit gerechter Bestrafung ahnden, gute
Arbeit aber durch Leckerbissen belohnen. Ungerechte Bestrafung
vergißt ein vierbeiniger Künstler nicht leicht. Er wird dadurch
boshaft und verschlagen, und der Dompteur riskiert sein Leben,
wenn er es durch Überreizung des Tieres zur Katastrophe
kommen läßt.
Die Ausübung einer „zahmen Tierdressur" von dem Anfang
bis zur fertigen Ausbildung der betreffenden Tiergruppe ist
ein ideales Studienfeld für einen Tierpsychologen, dem sich
dabei eine Fülle der Anregung und Beobachtung für Studien
auf dem Gebiete der Tierseelenkunde bietet. Der Ehrgeiz des
Dompteurs bringt es selbstredend mit sich, die Ausführung der
schwierigsten Aufgaben von sei-
nen tierischen Schülern zu ver-
langen. Man kann sich vor-
stellen, was dazu gehört, Tiere,
die sich artlich in der Natur
ausschließen, wie zum Beispiel
Löwe und Pferd, aneinander
zu gewöhnen und zu gemein-
samer Arbeit zu erziehen. Zu-
erst muß die instinktive Abnei-
gung und angeborene Furcht
überwunden werden.
Fühlen sich die Tiere ganz
sicher bei der Arbeit, so kann
man nicht selten beobachten,
daß sie von sich aus allerlei
Handlungenimprovisieren, die
beim zuschauenden Publikum
besondere Anerkennung Her-
vorrufen. Wiederholt läßt sich
dieses bei dressierten Schim-
pansen beobachten, auch habe
. ich bei Eisbären solche Fälle
erlebt. Der Dompteur Fritz
Schilling, einer der ältesten
Dompteure des Hagenbeck-
schen Tierparks, hatte vor dem
Krieg in seiner gemischten
Raubtiergruppe eine Eisbärin
namens Gretchen, die eine ge-
radezu humoristische Veran-
lagung besaß. Wenn der Bei-
fall einsetzte, so konnte sich
Gretchen vor Übermut nicht
mehr halten und gab in un-
glaublich zierlicher und humo-
ristischer Weise ihrer Freude Ausdruck, indem sie sich urkomisch auf den
Hinterbeinen fortbewegte, so daß die Zuschauer in tosenden Beifall aus-
brachen. Auch bei Schimpansen habe ich ähnliches beobachtet.
Besonders interessantes und wissenschaftlich wertvolles Studien-
material bieten die Elefanten, deren hochentwickelte seelische Begabung
sich während der erzieherischen Dressur deutlich offenbart. Auch hier
lassen sich bei den einzelnen Exemplaren individuelle Unterschiede nach-
Oressierte ^eoparven in UyeaimöenpeUung
Das Buck) für Alle Heft 27
Eine prachtvolle Tigerpyramide
Bären völlig abweichende Lebensgewohnheiten erkennen lassen. Auch spie-
len selbstverständlich Alter und Geschlecht dabei eine Rolle. Die Löwin ist
zum Beispiel behender und gewandter als der Löwe. Dieser neigt, je
älter er ist, zum Phlegma und zur Übellaunigkeit und will in seiner Ruhe
nicht gestört werden. Er quittiert dabei jede Aufforderung zur Arbeit mit
dumpfem Gebrüll oder gar durch Prankenschlag. Die geographische Her-
kunft der großen Raubtiere verursacht ebenfalls Abweichungen in ihrem
Benehmen. So weichen der indische Königstiger, der aus Su-
matra stammende Inseitiger und der aus der Mandschurei
stammende Mandschutiger in ihrem Charakter sehr voneinander
ab. Eine große Rolle spielt die individuelle Begabung. Der um-
sichtige Bändiger, dem es darauf ankommt, eine tadellos arbei-
tende Tiergruppe zusammenzustellen, muß besonders für die Dres-
sur geeignete Exemplare um sich vereinigen. Die korrekte Durch-
führnng der „zahmen Tisrdressur" gelingt nur durch Versuche
mit einer größeren Anzahl von Tieren einer Art. Und eine solche
Auswahl wurde erst möglich durch die Entwicklung des Tierhan¬
dels, wie ihn Carl Hagenbeck in großzügiger Weise durchführte
und wie ihn seine beiden Söhne, Heinrich und Lorenz, fortsetzen.
Der erfahrene Dompteur erkennt bald, welch Geisteskind er
vor sich hat. Erweist sich aber der in Probe genommene Dressur-
schüler als schwerfällig und unbegabt, so wird er möglichst bald
ausgeschaltet, um keine unnütze Zeit mit seiner Ausbildung zu
verlieren. Begabte Tiere lernen rasch die von ihnen geforderte
Arbeit begreifen, und dann bedarf es aller Energie von feiten
ihres Lehrmeisters, um sie zu tadellos arbeitenden Künstlern
auszubilden. Unaufmerksamkeit und Nachlässigkeit darf der
Dompteur nicht durchgehen lassen, er muß vielmehr Entglei-
sungen seiner Schüler mit gerechter Bestrafung ahnden, gute
Arbeit aber durch Leckerbissen belohnen. Ungerechte Bestrafung
vergißt ein vierbeiniger Künstler nicht leicht. Er wird dadurch
boshaft und verschlagen, und der Dompteur riskiert sein Leben,
wenn er es durch Überreizung des Tieres zur Katastrophe
kommen läßt.
Die Ausübung einer „zahmen Tierdressur" von dem Anfang
bis zur fertigen Ausbildung der betreffenden Tiergruppe ist
ein ideales Studienfeld für einen Tierpsychologen, dem sich
dabei eine Fülle der Anregung und Beobachtung für Studien
auf dem Gebiete der Tierseelenkunde bietet. Der Ehrgeiz des
Dompteurs bringt es selbstredend mit sich, die Ausführung der
schwierigsten Aufgaben von sei-
nen tierischen Schülern zu ver-
langen. Man kann sich vor-
stellen, was dazu gehört, Tiere,
die sich artlich in der Natur
ausschließen, wie zum Beispiel
Löwe und Pferd, aneinander
zu gewöhnen und zu gemein-
samer Arbeit zu erziehen. Zu-
erst muß die instinktive Abnei-
gung und angeborene Furcht
überwunden werden.
Fühlen sich die Tiere ganz
sicher bei der Arbeit, so kann
man nicht selten beobachten,
daß sie von sich aus allerlei
Handlungenimprovisieren, die
beim zuschauenden Publikum
besondere Anerkennung Her-
vorrufen. Wiederholt läßt sich
dieses bei dressierten Schim-
pansen beobachten, auch habe
. ich bei Eisbären solche Fälle
erlebt. Der Dompteur Fritz
Schilling, einer der ältesten
Dompteure des Hagenbeck-
schen Tierparks, hatte vor dem
Krieg in seiner gemischten
Raubtiergruppe eine Eisbärin
namens Gretchen, die eine ge-
radezu humoristische Veran-
lagung besaß. Wenn der Bei-
fall einsetzte, so konnte sich
Gretchen vor Übermut nicht
mehr halten und gab in un-
glaublich zierlicher und humo-
ristischer Weise ihrer Freude Ausdruck, indem sie sich urkomisch auf den
Hinterbeinen fortbewegte, so daß die Zuschauer in tosenden Beifall aus-
brachen. Auch bei Schimpansen habe ich ähnliches beobachtet.
Besonders interessantes und wissenschaftlich wertvolles Studien-
material bieten die Elefanten, deren hochentwickelte seelische Begabung
sich während der erzieherischen Dressur deutlich offenbart. Auch hier
lassen sich bei den einzelnen Exemplaren individuelle Unterschiede nach-
Oressierte ^eoparven in UyeaimöenpeUung