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Heft 28
Das Buch für Alle
müsse. Willi Kerner hätte sich unter seinem wirklichen Namen zuletzt in
Gravosa-Ragusa aufgehalten und sei dort auch richtig angemeldet gewesen.
Ein Sensationsblatt meldete am andern Tage: „wie uns unser Belgrader
Korrespondent soeben drahtet, wollte sich Willi Kerner, der falsche Baron
Langkerke, in den nächsten Tagen mit der verwitweten Tochter des Ge-
heimrats Frohwein beim deutschen Gesandten trauen lassen." Das Blatt
deutete vorsichtig an, daß offenbar in diese Affäre private Familienver-
hältnisse mit verflochten seien.
Zwei Tage später erschien eine Nachricht, datz Willi Kerner, alias Baron
Langkerke, soeben in Berlin eingetroffen und nach dem Moabiter Untersu-
chungsgefängnis trans¬
portiert worden sei. Oer
untersuchende Richter,
Landgerichtsrat h., sei
mit den Ermittlungen
beschäftigt. Oer Häftling
leugne energisch den
Mord ab, gäbe aber offen
zu, Papiere und Namen
des Barons gegen eine
größere Abfindungs¬
summe erworben zu ha¬
ben. Oer echte Baron
Langkerke sei mit einem
amerikanischen patz, den
ihm Kerner verschafft
habe, auf der „Rotter¬
dam" nach Australien
abgedampft.
In Mittenstein, wohin
einige Berichterstatter
fuhren, war die Erre¬
gung ungeheuer. Oie
Leute hielten sich gegen¬
seitig auf der Stratze an,
die Frohweinschen Be¬
amten und Oienstboten
wurden mit Fragen be¬
stürmt, wußten aber
nichts weiter, als was
die Blätter schon berich¬
tet hatten.
Im Hause Arenius
war jetzt jeden Nachmit¬
tag Dauersitzung der bes¬
seren Damenwelt, die
nach den allerneuesten
Meldungen forschten
und sie besprachen, hatte
man so etwas für mög¬
lich gehalten? Vie „Für¬
stin" hatte diesen Men¬
schen natürlich „längst
durchschaut". Sie hatte
stets das Gefühl von et¬
was Mysteriösem und
verbrecherischem in sei¬
ner Nähe gehabt. Und
diese„schamlose Person",
diese Gabriele, dürfe sich
natürlich nie wieder in Mittenstein sehen lassen. Ihr tue nur der alte Ge-
heimrat leid. Sicherlich sei auch die Firma beschwindelt und betrogen wor-
den, aber das verschweige man natürlich.
Übrigens hatte sie mit ihrer Tochter Hilde einen bösen krach, da diese
ihr mit blitzenden Augen erklärte, sie würde diesem Manne, wenn er nicht
gerade ein Mörder sei, noch heute ihre Hand reichen. Hilde verschwand
dann bald aus Mittenstein, sie war zu „Besuch bei den verwandten in
München".
Einige Tage wurde es ganz still von der „Affäre". Nur ein Abendblatt
brachte eine phantastische Lebensgeschichte Kerners und des echten Barons
Langkerke, berichtete auch von einer geheimnisvollen Belgierin L. v. B.,
der ehemaligen Geliebten des echten Barons, die in Mittenstein bei einem
Besuch den Betrug zuerst aufgedeckt hätte. Einen Tag später erschien in
sämtlichen Blättern Berlins in Grotzaufmachung die Nachricht: „Oer echte
Baron aufgefunden — lebt in Australien — der deutsche Generalkonsul in
Sgdneg hat es an den Berliner Untersuchungsrichter gekabelt. Oer Baron
Langkerke wird sich baldig, auch aus privaten Gründen, nach Deutschland
einschiffen."
Drei Tage später war Willi frei, nach einer nochmaligen Rückfrage des
Untersuchungsrichters und der Rückantwort des deutschen Generalkonsulates.
Und ganz urplötzlich schlug die Stimmung der Öffentlichkeit zugunsten
Willis um. Oie Presse brachte seinen wirklichen Lebenslauf und nannte
ihn, den sein adliger, unehelicher Vater verstoßen, einen tapferen Lebens-
kämpfer und die Erhebung einer Anklage auf Mord überstürzt und nicht
substantiiert genug. Frühere Mitarbeiter traten jetzt öffentlich für ihn ein,
und die presse erörterte
in Aufsätzen und in Brie-
fen an die Redaktionen
die Frage: „kann in un-
serer heutigen Zeit, die
sich demokratisch nennt,
aber ihr bisheriges so-
ziales Gefüge mit Aus-
nahme Rußlands im
ganzen erhalten hat,
kann in dieser Zeit ein
Mann, der von unten
kommt, so schnell und so
hoch aufsteigen, wenn er
als ehemaliger Ober-
kellner sich eingeführt
hätte?"
Oer größte Teil der
Stimmen verneinte das
und bedauerte, daß ge-
rade in Deutschland noch
gewisse Vorurteile mäch-
tig seien. Ze nach Partei
und Anlage verneinten
andere diese Ansichten.
Auch ohne einen solchen
„Betrug", wie man die
Tat doch vom bürger-
lichen Standpunkt aus
nennen müsse, wäre ein
Willi Kerner sicher in die
höhe gekommen, wofür
es genug Beispiele in der
Welt gebe.
Aus Sgdneg kam dann
noch der Bericht des
Brüsseler „Soir" von sei-
nem Korrespondenten,
der den Baron Langkerke
kurz vor seiner Einschif-
fung nach Europa ge-
sprochen hatte. Oer Ba-
ron verdanke Kerner sein
Leben und sein Glück, die
Auffindung des gelieb-
ten Bruders, und er sei
bereit, wenn es die Ge-
setze erlaubten, Willi
Kerner durch seinen äl-
teren Bruder adoptieren
und als Baron Langkerke
legitimieren zu lassen. Auch seinen zurückgelassenen Sohn, von dessen Ge-
burt und Dasein er erst jetzt Kenntnis erhalten hätte, würde er adoptieren,
vielleicht durch eine heirat legitim machen.
Ein Berliner Abendblatt schickte darauf einen Vertreter in die Westend-
villa des Bankdirektors M., der Willi, um ihm die Neugier und Belästigung
eines Hotels zu ersparen, einige Zimmer zur Verfügung gestellt hatte.
Das Blatt berichtete darüber:
„Herr Kerner, wie man aus den Abbildungen weiß, ein energisch aus-
schauender, eleganter, schlanker Herr von etwa dreißig Zähren, empfing
mich in Gegenwart des Bankdirektors M. von der O.-Bank und von Mon-
sieur Lölestin Firmin, des bekannten Generaldirektors des französisch-
belgischen Textilverbandes. Herr Kerner betonte zunächst energisch, daß
er diese Adoption auf keinen Fall annehmen würde. Er hätte den Namen
nur als eine Treppe benutzen wollen, um schneller in die höhe zu steigen,
bedaure es aber nachträglich. Zedenfalls wolle er von nun an nur seinen
Treulich behütet / Nach einem Gemälde von Bruno Bielefeld
S8.1S28
Heft 28
Das Buch für Alle
müsse. Willi Kerner hätte sich unter seinem wirklichen Namen zuletzt in
Gravosa-Ragusa aufgehalten und sei dort auch richtig angemeldet gewesen.
Ein Sensationsblatt meldete am andern Tage: „wie uns unser Belgrader
Korrespondent soeben drahtet, wollte sich Willi Kerner, der falsche Baron
Langkerke, in den nächsten Tagen mit der verwitweten Tochter des Ge-
heimrats Frohwein beim deutschen Gesandten trauen lassen." Das Blatt
deutete vorsichtig an, daß offenbar in diese Affäre private Familienver-
hältnisse mit verflochten seien.
Zwei Tage später erschien eine Nachricht, datz Willi Kerner, alias Baron
Langkerke, soeben in Berlin eingetroffen und nach dem Moabiter Untersu-
chungsgefängnis trans¬
portiert worden sei. Oer
untersuchende Richter,
Landgerichtsrat h., sei
mit den Ermittlungen
beschäftigt. Oer Häftling
leugne energisch den
Mord ab, gäbe aber offen
zu, Papiere und Namen
des Barons gegen eine
größere Abfindungs¬
summe erworben zu ha¬
ben. Oer echte Baron
Langkerke sei mit einem
amerikanischen patz, den
ihm Kerner verschafft
habe, auf der „Rotter¬
dam" nach Australien
abgedampft.
In Mittenstein, wohin
einige Berichterstatter
fuhren, war die Erre¬
gung ungeheuer. Oie
Leute hielten sich gegen¬
seitig auf der Stratze an,
die Frohweinschen Be¬
amten und Oienstboten
wurden mit Fragen be¬
stürmt, wußten aber
nichts weiter, als was
die Blätter schon berich¬
tet hatten.
Im Hause Arenius
war jetzt jeden Nachmit¬
tag Dauersitzung der bes¬
seren Damenwelt, die
nach den allerneuesten
Meldungen forschten
und sie besprachen, hatte
man so etwas für mög¬
lich gehalten? Vie „Für¬
stin" hatte diesen Men¬
schen natürlich „längst
durchschaut". Sie hatte
stets das Gefühl von et¬
was Mysteriösem und
verbrecherischem in sei¬
ner Nähe gehabt. Und
diese„schamlose Person",
diese Gabriele, dürfe sich
natürlich nie wieder in Mittenstein sehen lassen. Ihr tue nur der alte Ge-
heimrat leid. Sicherlich sei auch die Firma beschwindelt und betrogen wor-
den, aber das verschweige man natürlich.
Übrigens hatte sie mit ihrer Tochter Hilde einen bösen krach, da diese
ihr mit blitzenden Augen erklärte, sie würde diesem Manne, wenn er nicht
gerade ein Mörder sei, noch heute ihre Hand reichen. Hilde verschwand
dann bald aus Mittenstein, sie war zu „Besuch bei den verwandten in
München".
Einige Tage wurde es ganz still von der „Affäre". Nur ein Abendblatt
brachte eine phantastische Lebensgeschichte Kerners und des echten Barons
Langkerke, berichtete auch von einer geheimnisvollen Belgierin L. v. B.,
der ehemaligen Geliebten des echten Barons, die in Mittenstein bei einem
Besuch den Betrug zuerst aufgedeckt hätte. Einen Tag später erschien in
sämtlichen Blättern Berlins in Grotzaufmachung die Nachricht: „Oer echte
Baron aufgefunden — lebt in Australien — der deutsche Generalkonsul in
Sgdneg hat es an den Berliner Untersuchungsrichter gekabelt. Oer Baron
Langkerke wird sich baldig, auch aus privaten Gründen, nach Deutschland
einschiffen."
Drei Tage später war Willi frei, nach einer nochmaligen Rückfrage des
Untersuchungsrichters und der Rückantwort des deutschen Generalkonsulates.
Und ganz urplötzlich schlug die Stimmung der Öffentlichkeit zugunsten
Willis um. Oie Presse brachte seinen wirklichen Lebenslauf und nannte
ihn, den sein adliger, unehelicher Vater verstoßen, einen tapferen Lebens-
kämpfer und die Erhebung einer Anklage auf Mord überstürzt und nicht
substantiiert genug. Frühere Mitarbeiter traten jetzt öffentlich für ihn ein,
und die presse erörterte
in Aufsätzen und in Brie-
fen an die Redaktionen
die Frage: „kann in un-
serer heutigen Zeit, die
sich demokratisch nennt,
aber ihr bisheriges so-
ziales Gefüge mit Aus-
nahme Rußlands im
ganzen erhalten hat,
kann in dieser Zeit ein
Mann, der von unten
kommt, so schnell und so
hoch aufsteigen, wenn er
als ehemaliger Ober-
kellner sich eingeführt
hätte?"
Oer größte Teil der
Stimmen verneinte das
und bedauerte, daß ge-
rade in Deutschland noch
gewisse Vorurteile mäch-
tig seien. Ze nach Partei
und Anlage verneinten
andere diese Ansichten.
Auch ohne einen solchen
„Betrug", wie man die
Tat doch vom bürger-
lichen Standpunkt aus
nennen müsse, wäre ein
Willi Kerner sicher in die
höhe gekommen, wofür
es genug Beispiele in der
Welt gebe.
Aus Sgdneg kam dann
noch der Bericht des
Brüsseler „Soir" von sei-
nem Korrespondenten,
der den Baron Langkerke
kurz vor seiner Einschif-
fung nach Europa ge-
sprochen hatte. Oer Ba-
ron verdanke Kerner sein
Leben und sein Glück, die
Auffindung des gelieb-
ten Bruders, und er sei
bereit, wenn es die Ge-
setze erlaubten, Willi
Kerner durch seinen äl-
teren Bruder adoptieren
und als Baron Langkerke
legitimieren zu lassen. Auch seinen zurückgelassenen Sohn, von dessen Ge-
burt und Dasein er erst jetzt Kenntnis erhalten hätte, würde er adoptieren,
vielleicht durch eine heirat legitim machen.
Ein Berliner Abendblatt schickte darauf einen Vertreter in die Westend-
villa des Bankdirektors M., der Willi, um ihm die Neugier und Belästigung
eines Hotels zu ersparen, einige Zimmer zur Verfügung gestellt hatte.
Das Blatt berichtete darüber:
„Herr Kerner, wie man aus den Abbildungen weiß, ein energisch aus-
schauender, eleganter, schlanker Herr von etwa dreißig Zähren, empfing
mich in Gegenwart des Bankdirektors M. von der O.-Bank und von Mon-
sieur Lölestin Firmin, des bekannten Generaldirektors des französisch-
belgischen Textilverbandes. Herr Kerner betonte zunächst energisch, daß
er diese Adoption auf keinen Fall annehmen würde. Er hätte den Namen
nur als eine Treppe benutzen wollen, um schneller in die höhe zu steigen,
bedaure es aber nachträglich. Zedenfalls wolle er von nun an nur seinen
Treulich behütet / Nach einem Gemälde von Bruno Bielefeld
S8.1S28