Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext

Das Buch für Alle

ti >< 1Itu,',^1IIil,, II,, II 1,^,1» 1,^,1 <1II

Heft 28


bürgerlichen Namen führen. Oie Herren verhandelten soeben wegen des
Eintritts des Herrn Kerner in die belgisch-französische Gesellschaft, zumal
neue Kartellierungspläne und Zusammenschlüsse geplant seien, deren Be-
arbeitung und Verwirklichung Herrn Kerner zugedacht seien, wir werden
später im Handelsteil daraus zurüäkommen ..."
Einige Wochen danach fand die Ziviltrauung Willi Kerners mit Gabriele
statt. Oem kleinen Frühstück in der Villa M. wohnten außer den Wirten
nur Monsieur Firmin, Ezzard Frohwein und Rosemarie bei. Nm gleichen
Abend reiste das junge paar nach Rapallo ab.
Oer Geheimrat Frohwein blieb unerbittlich. Er hatte seine Tochter vor
die Wahl zwischen diesem Manne und sich selbst gestellt, und auch Rose-
marie konnte ihn nicht umstimmen.
In Mittenstein behauptete die „Fürstin" noch lange Zeit — und fand
sogar Gläubige —, daß das natürlich alles Schiebung sei. Oer echte Baron
Langkerke sei in Wirklichkeit ein australischer Strohmann, den Frohweins
wegen Gabriele vorgeschoben hätten. Sie zog das aber später zurück, als
sich Hilde mit einem der Frohweinschen Gberingenieure verlobte.
ede Sensation verebbt einmal. Selbst in Mittenstein sprach einige
Monate nach diesen Ereignissen kein Mensch mehr davon. Ruch die
große Öffentlichkeit hatte bald alles vergessen. Oie Notiz, daß Willi Kerner
zum Direktor des belgisch-französischen Textilkonzerns ernannt worden,
mit dem Sitz in Brüssel, wurde kaum mehr beachtet.
... Geheimrat Frohwein alterte sichtlich. Ruch Rosemarie und Ezzard
bemerkten das und bemühten sich, den alten Herrn aufzuheitern.
„Ich glaube," schrieb sie ihrer Schwester Gabriele nach Brüssel, „er sehnt
sich sehr nach Oir. Aber von Versöhnung will er nichts wissen. Jedoch werden
wohl über kurz oder lang geschäftliche Veränderungen bei uns eintreten."
In der Tat hatte Frohwein einige Male ernsthaft mit seinem Sohne
darüber gesprochen, wie dieser sich seine und die Zukunft der Firma vorstelle.
Ezzard blies den Rauch seiner Zigarette lachend in die Luft: „Warum quälst
du dich eigentlich noch länger, Vater? Für unsere Zukunft ist doch gesorgt."
„Und die Firma?"
„Ist doch schon im Konzern, wird auch ohne mich und dich weiter
existieren. Ich tauge nun einmal nicht zum Generaldirektor. Dein Schwie-
gersohn, das war der rechte Mann dazu. Nun arbeitet er anderswo."
„Und du arbeitest gar nicht."
„hast du 'ne Ahnung, Vater, was das heißt, Rennsport im Hauptberuf
zu treiben und andere Sporte im Nebenberuf!"
„Beruf nennst du das?"

„Za. wir Zungen nehmen den Sport sehr ernst. — Im übrigen arbeiten
wir in Deutschland viel zu intensiv ... Ich weiß, Vater — wir sind alle-
samt verarmt. Schön! — Aber es muß eben doch einige geben, die mit
Anmut leben und denen sogenannte ,Karriere' nicht die Hauptsache des
Daseins ist."
Oer Geheimrat seufzte tief auf. Er verstand diese Welt nicht mehr ganz.
Alle hatten sie ihn e n t täuscht oder g e täuscht: Gabriele, Rosemarie, die
durchaus nicht heiraten wollte, Ezzard — und vor allem dieser Willi Kerner.
Nein, er paktierte nicht mit „Schwindlern", mochte auch diese neue Welt
mit ihrer laxeren Moral alles vergessen und verzeihen. Oabei sehnte er
sich inbrünstig nach Gabriele, seinem Lieblingskind. Aber er verschleierte
sich das immer wieder vor sich selbst mit Anklagen gegen sie und mit
vorgetäuschter Entrüstung.
Übrigens wisse man ja gar nicht, ob „dieser Herr" nicht eines Tages
wieder „etwas anstellen" würde, was auch nicht ganz mit strengen Moral-
begriffen in Einklang stehe.
„wenn du doch wenigstens heiraten wolltest, Rosemarie!"
„Ich fühle mich aber so ganz wohl, wer soll dich denn auch sonst pflegen?"
„Kindskopf — sprich ernsthaft! Eines Tages bist du eine alte Jungfer!"
Da lachte sie ihr schallendes, silberhelles Mädchenlachen: „Mein geliebter
Papa — alte Jungfern gibt es heutzutage überhaupt nicht mehr."
„Nun, dann heirate, damit ich endlich ein Enkelchen kriege! Db Ezzard
das tut, ist zweifelhaft — und wenn er dann heiratet, dann vielleicht eine
Zirkusreiterin!"
„wär' nicht das Schlimmste — verbürgt eine gesunde Zukunftsrasse!
Übrigens habe ich dir ja bereits mitgeteilt, daß dir Gabi diesen berechtigten
Wunsch sehr bald erfüllen wird."
„Oie Kinder des Herrn Kerner interessieren mich nicht," erwiderte der
alte Herr, und seine Miene versteinte sich ...
Als Rosemarie einige Wochen später nach Brüssel abdampfte — Ezzard
war in London und Paris in Sport-„Geschäften", wie es der Geheimrat
spöttisch benannte, da wurde es ganz einsam um den alten Herrn. Schwer-
mütig ging er umher. Oazu hatte er nun gelebt und gearbeitet!
plötzlich verbreitete sich in Mittenstein die Mär, daß Frau Gabi Kerner,
geborene Frohwein, eines gesunden Mädchens genesen sei. —
Eines Tages traf auch ein Bild beim Geheimrat ein: ein allerliebst
gewachsenes kleines Mädchen, mit der Unterschrift von Gabis Hand: „Rose-
marie die jüngere ihrem lieben Großpapa."
Erst legte er das Bild beiseite, in ein Zeitenfach seines Schreibtisches —
das Bild der Tochter „dieses Herrn"! Aber er holte es doch verstohlen immer
 
Annotationen