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Heft 28 »:!!>»:!!!,....!!!,<> Das Buch
wieder hervor und las immer wieder jene Stelle des Briefes, in der ihm
Rosemarie schilderte, wie idyllisch Gabi in einer Vorstadtvilla Brüssels
wohne, wie glücklich sie beide seien und wie sich Gabi nach ihrem alten
Vater sehne.
In diesen Tagen war der alte Herr sehr schlechter Laune. Erst fuhrwerkte
er in seiner Fabrik umher, bemäkelte und kümmerte sich Um die kleinsten
Einzelheiten, so daß seine Direktoren, Prokuristen und Ingenieure in Helle
Verzweiflung gerieten. Dann schloß er sich wieder in seine Villa ein und
ließ sich von niemand sprechen. Wozu hätte er einen stellvertretenden
Direktor? Dann telegraphierte er an Rosemarie, daß sie sofort zurückkehren
solle. Aber das Rntworttelegramm lautete: „Nomm du zu uns — alles
erwartet dich." — Und schließlich kam ein Brief Gabrieles, in dem sie ihm
nochmals ihr Glück schilderte und ihn um Verzeihung bat. Darunter nur
zwei Zeilen in der ihm wohlbekannten Handschrift Willis: „verzeihen Sie
auch mir und schauen Sie sich die ganz kleine Rosemarie an, die sehn-
süchtig die Rrme nach Ihnen ausstreckt!"
Rosemarie, die wußte, daß der Geheimrat in seinen Mußestunden zu-
weilen in der Bibel las, hatte darüber geschrieben: „Richtet nicht, auf daß
ihr nicht gerichtet werdet!" Und darunter stand in Ezzards Manier: „Bin
von London hierher gewandelt, um mal ein bißchen in ,Familienglück- zu
machen. Natürlich fehlst Du uns ganz, alter Herr. Nun sei bloß kein schwäbi-
scher Dickschädel und komm schon endlich! — Übrigens hat mein ,Ked
Star' in Epsom 'ne Masse Geld gebracht. Gar so'n schlechtes Geschäft ist
der Sport nicht. Der eine interessiert sich eben für Tuch und Wolle, der

fU P f e I l
andere für Pferdefleisch. — Oie jüngste Rosemarie hat übrigens Deine
Rügen und Deine Nase — natürlich ein Wunderkind! Ezzard."
Der Geheimrat hatte eine sehr schlechte Nacht. Um anderen Tag reiste
er nach Brüssel.
Rls er, von Ezzard und der älteren Rosemarie feierlich eingeholt, das
hübsche, glgzinienumsponnene Häuschen betrat, fiel ihm Gabi schluchzend
um den hals. Und dann sah er sich das „Wunderkind" an.
„hat wirklich meine Rügen und Nase!"
Erst dann wagte sich der Vater hervor, der gewissermaßen sein Rind
als Schild Und Schirm vorschob.
Beide Männer blickten sich stumm in die Rügen.
„Wenn Sie sie nur glücklich machen!" sagte der Geheimrat bewegt.
Aber Ezzard rief in seiner jungenhaften Manier: „Na, Familienglück
gibt's hier in Masse — damit kann man gleich mehrere Familien versorgen.
Das hat sogar für den wirklichen Langkerke mitgereicht. Der hat's nachgeholt."
Rm anderen Tag konnte der Geheimrat die Bekanntschaft mit der jungen
Baronin Langkerke erneuern und dem „echten" Baron die Hand schütteln.
Da seine Frau durchaus nicht nach Australien mitkommen wollte, hatte
ihm Willi eine Anstellung bei seinem Textilkonzern verschafft.
„viel leisten wird er ja nicht," meinte Ezzard, als er mit seinem Vater
im Garten der kleinen Villa spazieren ging, „aber er wird die alte Familie
erneuern. Ist auch was wert!"
„Na, mein Sohn," meinte der alte Herr trocken, „daran kannst du dir
ein Beispiel nehmen."

Eine Stätte des Friedens / Nach einem Gemälde von Wilhelm Schreuer
 
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