Heft 28 .Das Buch
reichen konnte, war ein Aufschub von achtundvierzig Stunden, nach deren
Ablauf die Anzeige beim Staatsanwalt erfolgen würde. Am anderen Mor-
gen machte ich mich auf, Wolf Egbert zu suchen. Wie und wo ich ihn fand,
das, Gräfin, erlassen Sie mir wohl zu erzählen. Genug, ich fand ihn im
typischen Zustand des Saufjammers. Feile Weiber, Sekt in Strömen,
Geigen und Jazzmusik. Als er mich erkannte, bekamen seine Augen einen
stieren Blick. Wortlos goß ich ihm den Inhalt eines Glases ins Gesicht!
Wohl lag ich eine Sekunde später auf der Straße, hinausgeworfen von
den Mitgenießern Ihres Bruders, aber ich hatte meinen Zweck erreicht. Wolf
Egbert sandte mir seine Vertreter. Am nächsten Morgen fand das Duell statt.
Ich war meiner Hand sicher. Seine hat erbärmlich geflattert. Und doch! Ich
glaube, Wolf wußte, um was es ging. Denn als ich ihn mit Blattschuß
auf den Rasen gestreckt hatte, war ein leichtes Lächeln auf den starren Lip-
pen. Mit den lieben Klubgenossen vom Mtorich sprach ich hernach noch
ein Wörtlein, was ihnen passieren würde, wenn sie jetzt noch weiter von
der unliebsamen Affäre reden würden. Denn auch ich wußte sehr viel!"
Geert Lanskoy war zu Ende. Die Gräfin Eynatten war in einen Sessel
gesunken und schluchzte leise auf. Im Zimmer dämmerte es, rotgolden
ging die Sonne hinter den eisigen Gebirgszinnen zur Ruhe. Ein kalter
Wind strich von den Bergen talwärts. Da klang die Frauenstimme stockend
auf: „Können Sie mir — verzeihen?"
„Keine Gefühle, Gräfin! Das — liegt uns beiden nicht! Kein Dank!
Ich tat nur meine Pflicht. Denn" — nun wurde auch seine Stimme wär-
mer — „anders konnte ich Ihnen und Ihrem alten Vater nicht danken
für all die schönen Stunden, die ich in Ihrem Hause verleben durfte.
Sein Sohn, Ihr Bruder, als Zuchthäusler, das hätte Ihr Vater nimmer
ertragen. Der Name entehrt, die Familie verfemt und —" Er stockte.
Fragend kam die Frauenstimme aus dem Dunkel: „Und —?"
Seine Worte sanken zum Flüstern: „Auch an Sie habe ich gedacht,
Ilse Löwenhöfft! Hätte der Gesandtschaftsattachä, Graf Eynatten, die
Schwester eines Zuchthäuslers geheiratet?"
Da klang es wie ein Schrei eines weidwunden Schmaltiers durch das
Zimmer: „Meinetwegen?"
Behutsam faßte er ihre zuckende Hand: „Gräfin Eynatten! Lassen Sie
den Toten ruhen. Glauben Sie mir, es war besser so und gab keinen
anderen Weg. Sollten auch Sie noch unglücklich werden?"
„Und Sie?" Fragend die Stimme.
Eine Handbewegung: „Ich? Danach dürfen Sie nicht fragen, Ilse
Eynatten, danach nicht! Ich konnte Ihren Namen rein erhalten, konnte
Ihrem Vater einen ruhigen Lebensabend schaffen und Ihnen die ersehnte
Ehe. Es war der letzte — Dienst, den ich Ihnen tun konnte."
Wieder lastete die Stille zwischen den beiden Menschen, die sich einst
alles gewesen, damals. Dann kamen hart die Worte: „Jetzt müssen Sie
gehen, Gräfin, sonst versäumen Sie den Zug! Ich begleite Sie zur Bahn!"
Still schritt sie neben ihm durch die schlecht erleuchteten Gassen und über
hallende Plätze, wo Röhrenbrunnen plätscherten. Stumm neigte er sich
über eine feine Hand zum letzten Kuß, als der V-Zug heranbrauste, stumm
und unbeweglich stand er, als er ihr Gesicht zum letztenmal am Fenster des
Wagens auftauchen sah. Und als der Zug in die Nacht hinausdonnerte,
warf sich Gräfin Eynatten fassungslos weinend in die Polster ihres Abteils.
O^irambo, der schwarze Napoleon
Eine afrikanische Erinnerung / Von Fritz Spellig
(^ls der Großhäuptling von Unjamwesi, Mirambo, im Jahre 1886
<^^die Augen schloß, ging ein befreiendes Aufatmen durch das ganze
Land. Wie ein glänzendes, aber unheimliches Meteor war er plötzlich aus
der geschichtslosen Einförmigkeit Afrikas aufgestiegen, Grauen und Ent-
setzen verbreitend. Seine Spur bezeichneten Tränen und Ströme von
Menschenblut. „Jsela magasi", das ist Blutstrom, hatte er seine Burg
genannt; sich selber aber legte er den bezeichnenden Namen „Mirambo",
zu Deutsch „Leichen", bei. Noch heute ist sein Bild in den Herzen der
Neger Jnnerostafrikas lebendig. Aber nur selten wird sein Name genannt,
als fürchte man sich, seinen Geist zu beschwören.
Es war im Frühjahr 1917, als mich eine Dienstreise in die Nähe der
einstigen Residenz Mirambos, auf die Missionsstation Urambo, führte.
Wie ausgestorben lag die Station da, denn ihre Bewohner waren schon
vor einem halben Jahr von den Engländern in die Kriegsgefangenschaft
abgeführt worden. Müde vom Marsch, lag ich im Langstuhl auf der offenen
Veranda und blies blaue Rauchwolken in die Luft. Eben war die Sonne
untergegangen, und an den Granitkuppen jenseits des Gombeflusses ver-
glühten die letzten Lichter. Ein leichter, vom Duft blühender Dattelpalmen
gewürzter Abendwind strich durch die Veranda. Feierliche, fast beäng-
stigende Stille herrschte ringsum. Nur aus der Krone der riesigen Borassus-
palme drüben kommt ab und zu ein geisterhaftes Rauschen und Klappern.
Ein Hüsteln und Räuspern ließ mich plötzlich aufhorchen. Kam er wirk-
lich? „Bist du es, Pondamali?" „Ndio, Bwana" (Ja, mein Herr), kam
eine rauhe Stimme aus der Dunkelheit zurück. Gleich darauf trat ein alter
Neger mit weißem Bart in den Schein meiner Lampe und kauerte sich
neben mir nieder.
„Pondamali," begann ich ohne Umschweife, „ich weiß, daß ihr die alten
Geschichten vom großen Häuptling von Jsela magasi nicht gern aufrührt.
Aber du warst einst sein Heerführer und hast viel erlebt, und nun sind wir
ganz unter uns. Also bitte erzähle!"
Verlegen rutschte Pondamali hin und her. Unheimlich rauschte und knat-
terte es in der Palme da drüben. Dann auf einmal, als ob er zu sich selber
spräche, murmelte der Alte: „Jene Borassuspalme dort weiß alles. Sie
hat viel, viel Menschenblut getrunken, darum ist sie auch so groß, größer
als alle ihres Geschlechts in unserm Lande. An ihrem Fuß befand sich die
öffentliche Richtstätte, und Mirambo war ein harter, grausamer Richter,
der weder Gnade noch Erbarmen kannte."
Nun hatte Pondamali den Faden gefunden. Je länger er aber erzählte,
desto rätselhafter erschien mir die Gestalt, die da vor mir aus der Ver-
gangenheit emporwuchs. War das wirklich ein Neger, oder hatte in ihm
die Seele eines Eroberers und Tyrannen aus grauer Vorzeit wieder
Gestalt angenommen? Vor mir tauchte, hoch hinausragend über die ge-
wöhnliche Linie des stumpfen, trägen Negertums, ein Mann von eiserner
reichen konnte, war ein Aufschub von achtundvierzig Stunden, nach deren
Ablauf die Anzeige beim Staatsanwalt erfolgen würde. Am anderen Mor-
gen machte ich mich auf, Wolf Egbert zu suchen. Wie und wo ich ihn fand,
das, Gräfin, erlassen Sie mir wohl zu erzählen. Genug, ich fand ihn im
typischen Zustand des Saufjammers. Feile Weiber, Sekt in Strömen,
Geigen und Jazzmusik. Als er mich erkannte, bekamen seine Augen einen
stieren Blick. Wortlos goß ich ihm den Inhalt eines Glases ins Gesicht!
Wohl lag ich eine Sekunde später auf der Straße, hinausgeworfen von
den Mitgenießern Ihres Bruders, aber ich hatte meinen Zweck erreicht. Wolf
Egbert sandte mir seine Vertreter. Am nächsten Morgen fand das Duell statt.
Ich war meiner Hand sicher. Seine hat erbärmlich geflattert. Und doch! Ich
glaube, Wolf wußte, um was es ging. Denn als ich ihn mit Blattschuß
auf den Rasen gestreckt hatte, war ein leichtes Lächeln auf den starren Lip-
pen. Mit den lieben Klubgenossen vom Mtorich sprach ich hernach noch
ein Wörtlein, was ihnen passieren würde, wenn sie jetzt noch weiter von
der unliebsamen Affäre reden würden. Denn auch ich wußte sehr viel!"
Geert Lanskoy war zu Ende. Die Gräfin Eynatten war in einen Sessel
gesunken und schluchzte leise auf. Im Zimmer dämmerte es, rotgolden
ging die Sonne hinter den eisigen Gebirgszinnen zur Ruhe. Ein kalter
Wind strich von den Bergen talwärts. Da klang die Frauenstimme stockend
auf: „Können Sie mir — verzeihen?"
„Keine Gefühle, Gräfin! Das — liegt uns beiden nicht! Kein Dank!
Ich tat nur meine Pflicht. Denn" — nun wurde auch seine Stimme wär-
mer — „anders konnte ich Ihnen und Ihrem alten Vater nicht danken
für all die schönen Stunden, die ich in Ihrem Hause verleben durfte.
Sein Sohn, Ihr Bruder, als Zuchthäusler, das hätte Ihr Vater nimmer
ertragen. Der Name entehrt, die Familie verfemt und —" Er stockte.
Fragend kam die Frauenstimme aus dem Dunkel: „Und —?"
Seine Worte sanken zum Flüstern: „Auch an Sie habe ich gedacht,
Ilse Löwenhöfft! Hätte der Gesandtschaftsattachä, Graf Eynatten, die
Schwester eines Zuchthäuslers geheiratet?"
Da klang es wie ein Schrei eines weidwunden Schmaltiers durch das
Zimmer: „Meinetwegen?"
Behutsam faßte er ihre zuckende Hand: „Gräfin Eynatten! Lassen Sie
den Toten ruhen. Glauben Sie mir, es war besser so und gab keinen
anderen Weg. Sollten auch Sie noch unglücklich werden?"
„Und Sie?" Fragend die Stimme.
Eine Handbewegung: „Ich? Danach dürfen Sie nicht fragen, Ilse
Eynatten, danach nicht! Ich konnte Ihren Namen rein erhalten, konnte
Ihrem Vater einen ruhigen Lebensabend schaffen und Ihnen die ersehnte
Ehe. Es war der letzte — Dienst, den ich Ihnen tun konnte."
Wieder lastete die Stille zwischen den beiden Menschen, die sich einst
alles gewesen, damals. Dann kamen hart die Worte: „Jetzt müssen Sie
gehen, Gräfin, sonst versäumen Sie den Zug! Ich begleite Sie zur Bahn!"
Still schritt sie neben ihm durch die schlecht erleuchteten Gassen und über
hallende Plätze, wo Röhrenbrunnen plätscherten. Stumm neigte er sich
über eine feine Hand zum letzten Kuß, als der V-Zug heranbrauste, stumm
und unbeweglich stand er, als er ihr Gesicht zum letztenmal am Fenster des
Wagens auftauchen sah. Und als der Zug in die Nacht hinausdonnerte,
warf sich Gräfin Eynatten fassungslos weinend in die Polster ihres Abteils.
O^irambo, der schwarze Napoleon
Eine afrikanische Erinnerung / Von Fritz Spellig
(^ls der Großhäuptling von Unjamwesi, Mirambo, im Jahre 1886
<^^die Augen schloß, ging ein befreiendes Aufatmen durch das ganze
Land. Wie ein glänzendes, aber unheimliches Meteor war er plötzlich aus
der geschichtslosen Einförmigkeit Afrikas aufgestiegen, Grauen und Ent-
setzen verbreitend. Seine Spur bezeichneten Tränen und Ströme von
Menschenblut. „Jsela magasi", das ist Blutstrom, hatte er seine Burg
genannt; sich selber aber legte er den bezeichnenden Namen „Mirambo",
zu Deutsch „Leichen", bei. Noch heute ist sein Bild in den Herzen der
Neger Jnnerostafrikas lebendig. Aber nur selten wird sein Name genannt,
als fürchte man sich, seinen Geist zu beschwören.
Es war im Frühjahr 1917, als mich eine Dienstreise in die Nähe der
einstigen Residenz Mirambos, auf die Missionsstation Urambo, führte.
Wie ausgestorben lag die Station da, denn ihre Bewohner waren schon
vor einem halben Jahr von den Engländern in die Kriegsgefangenschaft
abgeführt worden. Müde vom Marsch, lag ich im Langstuhl auf der offenen
Veranda und blies blaue Rauchwolken in die Luft. Eben war die Sonne
untergegangen, und an den Granitkuppen jenseits des Gombeflusses ver-
glühten die letzten Lichter. Ein leichter, vom Duft blühender Dattelpalmen
gewürzter Abendwind strich durch die Veranda. Feierliche, fast beäng-
stigende Stille herrschte ringsum. Nur aus der Krone der riesigen Borassus-
palme drüben kommt ab und zu ein geisterhaftes Rauschen und Klappern.
Ein Hüsteln und Räuspern ließ mich plötzlich aufhorchen. Kam er wirk-
lich? „Bist du es, Pondamali?" „Ndio, Bwana" (Ja, mein Herr), kam
eine rauhe Stimme aus der Dunkelheit zurück. Gleich darauf trat ein alter
Neger mit weißem Bart in den Schein meiner Lampe und kauerte sich
neben mir nieder.
„Pondamali," begann ich ohne Umschweife, „ich weiß, daß ihr die alten
Geschichten vom großen Häuptling von Jsela magasi nicht gern aufrührt.
Aber du warst einst sein Heerführer und hast viel erlebt, und nun sind wir
ganz unter uns. Also bitte erzähle!"
Verlegen rutschte Pondamali hin und her. Unheimlich rauschte und knat-
terte es in der Palme da drüben. Dann auf einmal, als ob er zu sich selber
spräche, murmelte der Alte: „Jene Borassuspalme dort weiß alles. Sie
hat viel, viel Menschenblut getrunken, darum ist sie auch so groß, größer
als alle ihres Geschlechts in unserm Lande. An ihrem Fuß befand sich die
öffentliche Richtstätte, und Mirambo war ein harter, grausamer Richter,
der weder Gnade noch Erbarmen kannte."
Nun hatte Pondamali den Faden gefunden. Je länger er aber erzählte,
desto rätselhafter erschien mir die Gestalt, die da vor mir aus der Ver-
gangenheit emporwuchs. War das wirklich ein Neger, oder hatte in ihm
die Seele eines Eroberers und Tyrannen aus grauer Vorzeit wieder
Gestalt angenommen? Vor mir tauchte, hoch hinausragend über die ge-
wöhnliche Linie des stumpfen, trägen Negertums, ein Mann von eiserner