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Heft 28

Das Buch für Alle

Oie junge Naive als komische Alte

Oie junge Naive (ungeschminkt)

eine antik-pariserische als jene schöne, klassische Welt des weisen Hellas,
wie sie sich so ideal in manchen deutschen Büchern spiegelt.
Mittel- und Nordeuropa scheinen gleichwohl von den Schminktöpfen
des Orients lange Zeit verschont geblieben zu sein. Erst im Mittelalter
kamen sie über Italien nach Frankreich, und seit Mitte des sechzehnten
Jahrhunderts wurde ihre Herrschaft unumschränkt. Die Mode, die an der
Frau rote Wangen liebte und deshalb sogar reichlichen Weingenuß anriet,
begünstigte die Einführung der Schminke in Frankreich und Deutschland:
die Südländerinnen wieder liebten die zarten, frischen Farben der ger-
manischen Rasse, so daß sie sich zu ihrem ungeheuren Schminkverbrauch
verleiten liehen. In Spanien ging man mit der Malerei so weit, daß
Fremde, die daran nicht gewöhnt waren, einen förmlichen Abscheu be-
kamen; auch soll es auf die Schminke zurückzuführen sein, daß man in
Spanien nicht küßte.
Als man in Paris einmal einen fremden Gesandten fragte, wie ihm
die Damen dort gefielen, antwortete er: „Ich bin kein Kenner von Ge-
mälden." Gewiß sehr bezeichnend für den Grad, den die Mode des Schmin-
kens nun auch hier erklommen. Frauen, die sich damals nicht schminkten,
waren weltgeschichtliche Ausnahmen, daß man ihren Namen vermerkte;

s wäre gewiß hübsch, wenn man aller-
lei Gutes und Böses von der Schminke
erzählen könnte; doch wenn man die Kultur-
geschichte durchgeht, kann man von diesem
allgemein beliebten Artikel Gutes nicht be-
richten. Fürsprecher hat sie während der
langen Zeit ihrer Existenz nicht gefunden,
Angreifer dagegen in unendlicher Zahl. Wie-
land, der in der verhängnisvollen Pandora-
büchse die böse Schminkbüchse selbst sah, be¬
hauptete sogar, daß mit der Mode des Schminkens auch im Charakter der
menschlichen Gesellschaft alles, was einst echt, zum Teufel gefahren sei
und für die Zukunft nur noch geschminkte Gefühle, geschminkte Frömmig¬
keit, geschminkte Freundschaft, geschminkte Moral, und was alles sich noch
anreihen ließe, übrigblieben. Wieland empörte sich gegen die verderbliche
Mode, Lilien und Rosen, welche Jugend und Schönheit aus den Händen
der Natur empfangen, aus einer Schminkbüchse zu ziehen. Und doch ist
die Schminkkunst schon eine uralte Kunst. Erwiesen ist jedenfalls, daß alle
alten Völker, mit und ohne Kultur, biblische und klassische, Griechen und
Römer, Japaner und Neger, Babylonier und Araber, sich schminkten und
sich heute noch schminken wie zu den Zeiten Hiobs, natürlich nur die Damen.
Und wie verstand der farbenfreudige Orient sich auf die Kunst des
Selbstanstreichens! Wer die kulturgeschichtliche Sprache der Gegenstände,
die noch weuerdings aus Tut-anch-amons Grab zum Vorschein kamen,
versteht, dem werden die Salbenschalen und Farbenschälchen allerlei er-
zählen. Denn mit gemalten Wangen und Lippen begnügte man sich in
Altägypten nicht, man liebte grüne Augenbrauen und Augenränder, man
malte das Geäst der Adern blau nach, die Lippen rot; ja, was Lucian
über die Schminkkunst der edlen Griechinnen verrät, das zeigt uns eher

I^ultur^efc^icjiklicjäe?lLuderei
von öertlin





Mephisto und die Hexe vor und nach der bühnenmäßigen Gesichtsbearbeitung. (Wolter)
 
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