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Das Buch für alle: illustrierte Blätter zur Unterhaltung und Belehrung für die Familie und Jedermann — 61.1929

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Heft 18
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https://doi.org/10.11588/diglit.52835#0470
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für Alle

Das Buch

Heft 18


„So komm herein zu mir. über ganz leise. Dort oben schläft meine
Frau. Sie darf dich nicht hören. Line halbe Stunde werden wir ungestört
sein."
Nun waren sie beide allein in dem mit behaglicher Pracht und wert-
vollen Nunstschätzen ausgestatteten Arbeitszimmer des Justizrats.
Oer bot dem wunderlichen Besucher einen Stuhl.
Oer Alte matz mit scheuem Auge die weichen Polsterstühle, sah dann
auf seinen bunten Seidenmantel, den er vor langen Jahren bei seinen
Vorführungen getragen und der jetzt zerschlissen und voller Flecke war.
„Nein," erwiderte er mit einer ablehnenden Bewegung der gebräunten,
blaugeaderten Hand, „wir können es im Stehen abmachen."
„So sprich!"
Oer Fakir wiegte den Nopf mit dem dichten, ergrauten Nraushaar lang-
sam hin und her, fuhr mit der Handfläche über das feine, aber von Nampf
und Not zerrissene Gesicht.
„Als ich damals in Not geriet", begann er dann in unsicherer, stammeln-
der Sprache, „Und du mir den Armreif abkauftest —"
„Oen Nrmreif!" unterbrach ihn der Justizrat in heftiger Aufwallung,
„der dann all das Elend über mich brachte!"
„Über mich brachte er grötzeres. Und es war
meine eigene Schuld!"
„Deine Schuld? weshalb?"
„Dieser Armreif, den einmal ein indischer Pro-
phet geweiht, hat sich seit Jahrhunderten in un-
serm Stamm fortgeerbt. Er kam vom Vater auf
den Sohn und brachte jedem Glück und Nraft,
der ihn trug. Ich aber in meiner Not gab ihn
fort. Das war der Frevel, der sich bitter rächte."
In den dunkeln Augen lebte das erloschene
Feuer auf.
„Du weitzt es, hast es selbst erfahren, datz von
der Stunde an alle Macht und alles Glück von
mir wich, datz ich dich Hatzte, weil du mir den
Neis genommen und ihn mir trotz meiner Bitten
nicht zurückgeben wolltest."
„Er gehörte mir nicht mehr."
„Nein, nein. Du hattest ihn Felizitas geschenkt,
meiner kleinen Schülerin, die vom ersten Augen-
blick an auf ihn versessen war, die einzige, die
seiner würdig war. Denn auch in ihr lebt die
Nraft des hellsehens. Aber als du die Naufsumme
trotz aller deiner Versprechungen und Prahlereien
nicht aufzubringen vermochtest —"
„Oa ruhte dein Hatz nicht, bis du mir die
Grube gegraben hattest, in die du dann selbst ver-
sankst — doch lassen wir das!" !
„Ja — lassen wir es!" erwiderte der Alte müde '-

es war alles gleichgültig geworden. Nur eine furchtbare Angst lebte in ihm,
schnürte ihm das Herz zu, machte ihn unfähig, ein Wort zu erwidern. Er
kannte diesen Inder seit Jahren. Er wußte, daß ihn der Verlust seines
Talismans bis in das tiefste getroffen, daß sein heitzes Blut und sein wilder
Sinn vor nichts zurückschrecken würde, ihn wiederzugewinnen.
„Ou bist jetzt anderer Meinung geworden, Max Güldner, nicht wahr?
Ou wirst jetzt alles daransetzen, mir zu meinem Besitztum zu verhelfen,
das mir zu Recht gehört. Und zwar heute noch. Morgen in der Frühe geht
mein Schiff, das mich zuerst nach Hamburg, dann in meine alte Heimat
bringen soll. Denn ich habe dies Land und die' Leute in ihm satt —"
Oa versuchte Martin Vernstoff sein Letztes.
„Solch eine Reise kostet Geld," sagte er. „Ich werde es aufbringen.
Mehr noch: ich werde dir so viel geben, datz du dir in deiner Heimat
Grund und Boden kaufen und ein neues, geordnetes Dasein beginnen
kannst. Nomm heute abend, und es wird zu deiner Verfügung sein."
„Ich will nicht dein Geld und nicht deine Grotzmut. Ich verachte beide.
Ich will, was mir gehört."
„Oen Reif kann ich dir nicht schaffen."
„Ou wirst ihn schaffen, heute noch hole ich ihn
von dir. Zur Mitternachtstunde, wenn deine Gäste
das Haus verlassen haben, bin ich da."
„Und wenn ich ihn nicht habe?"
„So hole ich ihn in derselben Nacht noch von
Fee varena."
Oben wurde ein Fenster geöffnet. Frau Martha
hatte ihren Mittagschlaf beendet.
Lautlos schlich der Inder auf den Balkon, ließ
sich von ihm herab, kroch auf allen vieren bis an
die zum Garten führende Steintreppe und war
verschwunden.
Es war die höchste Zeit, denn schon trat Frau
Martha in das Zimmer ihres Gatten. Oer wohl-
tätige Schlaf hatte eine so frische Farbe aus ihr
meist blasses Gesicht gezaubert, daß er meinte, sie
noch nie so jugendlich und anziehend gesehen zu
haben wie heute in dem Hellen Glück und der
vornehmen Weiblichkeit ihrer silberbräutlichen
würde.
„Ou bist gar nicht zur Ruhe gekommen und
hattest sie so nötig!"
Sie trug immer Sorge um ihn.
„wer war bei dir?"
„Bei mir? Niemand?"
„Abscheulich!" dachte er im selben Augenblick,
„datz ich sie belügen muß. Und gerade heute!"
„Mir war doch, als vernähme ich eine fremde
Stimme."

„Also hat sie ihn doch gehört!" sprach er wie-
der zu sich selber. „Sicher das eine Mal, als er
so laut und heftig wurde!"
Oann quälte ihn der Argwohn, ob sie am Ende gar den Sinn der Worte
verstanden hätte.
Ihr aber war sein Erstaunen nicht entgangen.
„Er hat Geheimnisse vor mir," schloß sie in ihrem Inneren, und es war
das erstemal, datz ein Argwohn in ihrer Seele auftauchte.
von draußen her ertönte eine hupe. Oer erste wagen erklomm die
Straße, die zu der Bernstoffschen Villa emporführte,- ein zweiter folgte in
geringem Abstand.
Frau Martha ergriff ihren Mann, der wenig aufgelegt zum Empfang
seiner Gäste schien, bei der Hand, wie sie es in früheren Tagen so manches
Mal bei solcher Gelegenheit getan, und zog ihn in jugendlichem Übermut
mit sich. Aber über ihre Stirn schwebte ein leiser Schatten, und ihre Augen
blickten nicht so ruhig und zuversichtlich wie sonst.
Er hingegen hatte sich sofort eingestellt, begrüßte jeden der Eintretenden
mit verbindlichem Wort, dankte für die ihm und seiner Frau erwiesenen
Aufmerksamkeiten, sagte den Oamen Artigkeiten und zeigte in allem, was
er sprach oder Lat, die Miene eines überaus beglückten und in tiefster Seele
befriedigten Zilberbräutigams.
Oabei aber gingen seine Gedanken ihre eigene Bahn, kreisten for^
während um das eine, kehrten unablässig zu ihm zurück, auch wenn er die
größten Anstrengungen machte, sie von ihm loszureißen: wenn sie kommen
würde? Ob sie den Reif heute tragen würde? Sicher würde sie es tun.
Sie ging ja nie ohne ihn aus, legte ihn nicht einmal in der Nacht ab.
Oann wäre es das einfachste, sie ließe ihn gleich hier. Sie mutzte ihn ja
hierlassen, es blieb ihr ja keine Wahl. Auf keinen Fall dürfte sie ihn mit
nach Hause nehmen. (Fortsetzung folgt»

und verdrossen. „Es ist alles so gleichgültig ge- Radierung von Meta Plückebaum.
worden, wenn ich nur zu meinem Ziel gelange —" Kunstverlag Georg Noßmann, München.
„was also forderst du?"
Oer Fakir hob den auf die Brust gesunkenen Nopf in die höhe. Etwas
Unabweisbares war in dieser Gebärde, diesem trotzig auflehnenden Aus-
druck des pergamentenen Gesichts.
„Oen Reif fordere ich."
Martin Bernstoffmaß ihn mit einem erschreckten Blick, schüttelte den Nopf.
„Es ist unmöglich."
„Es wird möglich werden," erwiderte der andere unbeugsam.
„Ou hörtest, daß er gar nicht in meinem Besitz ist."
„Nein, Felizitas Warnow hat ihn heute noch."
„Ou weitzt, datz fte seit jenem Tage verschwunden ist."
Ein höhnisches Lächeln zuckte über die wulstigen Lippen.
„Sie ist da. Ou selbst hast sie wiedergefunden. Sie ist keine andere als
jene Fee varena, die gestern dem in stolzer Ruhe sich wiegenden Minister-
präsidenten seinen Sturz voraussagte, der heute, wie eben Extrablätter
melden, seines Amtes enthoben ist. Sie hat den Reif, den du mir nahmst —"
„So wird sie ihn dir umso weniger zurückgeben."
„Ou wirst mir dazu verhelfen."
„Oas werde ich nicht Lun."
„So werde ich dich dazu zwingen — oder sie."
„Ich wüßte nicht, wie du das machen wolltest."
Oa sprang ein Heller, heißer Funke in den Lief in den höhlen liegenden
Augen auf, glühte zu dem andern hinüber.
„Und wenn ich ihr den Reif vom Arm reißen und, wenn sie wider-
stand leistet, sie töten sollte — ich mutz ihn wiederhaben."
Er sprach, alle bis dahin geübte Vorsicht außer acht lassend, ganz laut.
Martin Vernstoff dachte nicht mehr an seine da oben schlummernde Frau
 
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