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Das Buch für alle: illustrierte Blätter zur Unterhaltung und Belehrung für die Familie und Jedermann — 61.1929

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Heft 18
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https://doi.org/10.11588/diglit.52835#0471
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ie^rüöerßhast
r öer
limmergesellen
Von Hermann Raillard

(7D ls NN Winter dieses Jahres die Zeitungen von einer
^/^blutigen Auseinandersetzung zwischenZimmergesellen
und jungen Leuten eines Vereins „Jmmertreu" in Berlin
berichteten, die einen aufsehenerregenden Strafprozeß
wegen Landfriedensbruchs zur Folge hatte, erinnerte sich
wohl mancher, gelegentlich solchen seltsamen Burschen mit
großen schwarzen Schlapphüten, zuweilen auch Zylin-
dern, und unten merkwürdig breiten Hosen aus Manchester-
samt mit schwarzen oder roten Biesensäumen begegnet zu
sein. Junges Blut, mit Augen, aus denen der Übermut
fackelt, und mit kräftigem Schritt! Unter dem Arm einen
Segeltuchbeutel, den sogenannten „Berliner", von einem
Tuch überdeckt, und in den Händen den Knotenstock, den
„Stenz". Uber dem weißen Hemdlatz — einen städtischen
Kragen verschmähen sie — baumelt nichts weiter als ein
schmales schwarzes Bändchen, auf das sie nicht wenig stolz
sind. Und an den kurzen schwarzen Jacken leuchten die
Perlmutterknöpfe. Hamburger seien die jungen Leute,
hatte man auf Nachfrage gehört. Viel mehr nicht. Und
wenn man sie selbst nach Herkommen ihres Brauchtums,
nach Alter und Art ihres Verbandes, ihrer „Brüderschaft",
fragen wollte, würde man keinen befriedigenden Bescheid
erhalten.
Tatsache ist, daß sich in dieser ganz isolierten Verbindung
der Zimmergesellen bis in unsere Zeit neben den Gewerk-
schaften und keineswegs in Widerspruch zu diesen eine
durchschnittlich etwa zw eitausendachthundertbis dreitausend
Mitglieder zählende Hilfsgenossenschaft mit altem Brauch
und sozialen Leitgedanken am Leben erhalten hat. Hilfe
ist Bruderpflicht bei diesen jungen Handwerksgenossen,
zünftige Ehrbarkeit ihr gemeinsames Ideal. Seltsam, daß
sich in unserer nivellierenden Massenschiebung solche alter-
tümlich anmutende Charakterhaftigkeit behauptet. Daß
diese Brüderschaft der Zimmergesellen, auch Schächten


Ein ZLmmcrgesell (links) und ein Maurer (rechts) in der Zunsttracht. Schwarze, unten weite
Samthosen trägt der Zimrnergefell, weiße Beinkleider derMaurer.Beide smd weithin kenntlich
durch den großen Schlapphut und halten jeder unter dem Arm den „Berliner", ihr Hand-
werkzeug. Handfest ist der „Stenz", der gewundene Knotenstock, und am kragenlosen Hemdbund
ist die „Ehrbarkeit", das einfache schwarze Bändchen, befestigt. (Photothek)


Auf dem Rasen hat der lagernde Zimmergesell den „Charlottenburger", das äußere Ein-
packetuch und darüber das Handwerkzeug, seinen „Berliner", ausgebreitet. (Photothek)

genannt, in den Zünften, insbesondere in den weltlichen
Brüderschaften des Mittelalters, ihre Vorbilder hat, ist zweifel-
los, aber wie sie nach dem Zerfall jener Einrichtungen und
nach dem alles kulturelle Leben aushungernden Dreißigjäh-
rigen Krieg wieder neue Reiser treiben, alte Überlieferungen
auffinden konnte, das ist schwer zu ergründen. Sie ist wie das
an altem Stamm neu ausschlagende Laub etwas Naturhaftes
und menschlich Beseeltes inmitten unserer seelenlosen künstlichen
Überorganisation! Es wäre ebenso töricht, ihren praktischen
Wert zu überschätzen, wie diese eigenwillige Lebenskundgebung
des immer wieder grünenden Volkstums zu verkennen.
Es ist ein auch sonst in der Geschichte erwiesenes mensch-
liches Schutzbestreben, besonderes fachliches Wissen und Können
mit einer gewissen feierlichen Heimlichkeit zu umgeben, in
symbolischem Brauchtum, Grußformeln und Erkennungszeichen
Verbindungen festzuketten, im Tragen eigentümlicher Landes-
tracht Standesbewußtsein und Zusammengehörigkeitsgefühl
zu festigen. Dafür, daß die gemeinsame Tracht einheitlich ihren
Sondercharakter behält, sorgt auch die Zentralstelle, von der
sie bezogen wird, aus kaufmännischen Gründen. Im Stu-
dententum finden sich viele Bräuche, die mit denen der
Zimmergesellen unverkennbare Ähnlichkeit haben. In der
Brüderschaft lebt traditionell übernommen die Hochachtung
 
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