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Das Buch für alle: illustrierte Blätter zur Unterhaltung und Belehrung für die Familie und Jedermann — 61.1929

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Heft 18
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Das Buch für Alle Heft 18

vor dem Stufenbau alles menschlichen Werdens als einer Naturgesetzlich-
küt. „Gelernter" oder „ungelernter" Arbeiter, hier ist dies keine Gleich-
g Mgkeit! Als Lehrling muß man lernen, als Geselle üben und das Ge-
lernte beweisen, der Meister soll Neues ersinnen. Darum lassen die Zimmer-
gesellen niemand in ihre Herbergen, der sich nicht ausweisen kann als ein
„geschriebener Fremder", das heißt einer, der in die Fremde gewandert
— drei Jahre zu wandern ist Mindestpflicht — und dort sich hat beim Fach
einschreiben lassen und der sich gründlich umgetan, etwas Tüchtiges zu
lernen da draußen. Aufnahmesuchenden bringen die älteren Gesellen die
Bräuche und Formeln bei und erkunden dabei gar bald, ob sie mit einem
rechten „schaffigen" Menschen zu tun haben, der an seinem Schaffen Freude
hat und nicht nur aufs Geldverdienen ausgeht. An solchen Drückebergern
liegt ihnen nichts. Auf dem Zimmermannsplatz kann man solche flauen

schwarzen Bändern der Zimmergesellen. Graue oder weiße Hosen tragen
die echten Zimmerleute nicht, wohl aber die Rivalen. Bewußt ist den
einzelnen das Erbe aus Vorzeittagen nicht, aber eingelebt darin haben sie
sich doch. Und das ist der gesunde, wieder neues Leben bekundende Wesens-
zug deutschen Volkstums, wie es in der alten Zunft früherer Zeit sich
offenbarte. Römer und Griechen hatten es einst in der Technik herrlich
weit gebracht, aber ein Wichtiges kannten sie nicht, was erst die Handwerker-
zünfte der aufblühenden deutschen Städte des Mittelalters als Höchstes
erkannten, die sittliche Wertung des Werkes der Hände, der gewerblichen
Arbeit! Darauf gründeten sich Ansehen und Selbständigkeit des freien
bürgerlich ehrbaren Handwerkerstandes!
Ganz unpolitisch, auch gar nicht markiert patriotisch, aber kerndeutsch
sind die Zimmerleute. Soweit die deutsche Zunge klingt, reicht ihre



Ein Zimmcrgesell-nbr-uch. Durch Klopfzeichen auf dem Tisch begrüßt der „Fremde" die Zünstiaen in der Ur-
berge. und d.ese antworten ebenfaN« mit Klopfen. Den Hut behalten alle dabei auf dem Ko^

Heimat, und sind sie im
Ausland, so reden sie
Deutsch, wie ihnen der
Schnabel gewachsen ist.
Deutsch ist ihre Wanderlust
und deutsch ihre ganz volks-
tümlichen, zuweilen der-
ben, nie aber lüsternen
Lieder, die auf der Wan-
derschaft und vor allem auf
den Herbergen gesungen
werden. Das oft schon tot-
gesagte Volkslied lebt und
hat Brunnenfrisch e.Deutsch
ist auch die Mischung von
Ernst und Schalk in den
Zimmermannsprüchen, den
Rammliedern, denn dieses
schwere Werk des Einram-
mens Stock für Stock des
Hausbaus ist Zimmer-
manns Arbeit, ein Stück
grundlegender Arbeit im
Menschenleben. Und echtes
deutsches Volksleben spru-
delt in dem Humor der
Mären und Geschichten,
mit denen sie sich am Feier-
abend auf der Herberge zu
überbieten suchen. Da treibt
der „Lügenteufel" wie in
den uralten Sagen und
Legenden sein Spiel, bei

Mitmacher nicht brauchen. Die Ehrbarkeit ihres Standes
steht ihnen viel zu hoch.
Äußerliches Zeichen der Zugehörigkeit zur ehrbaren Ge-
sellenbrüderschaft ist das schwarze Bändchen, das über dem
Hemdlatz herunterbammelt. Diese Ehrbarkeit hat eine
deutliche Ähnlichkeit mit der primitiven, die unter rich-
tigen Jungens alleweil Geltung hat. Verprügeln geht
nicht gegen solches Ehrgefühl, aber verraten oder auf
Kosten anderer, etwa gar mit Hilfe von Geld heimlich
sich Vorteile verschaffen, das ist ehrlos. Hat sich ein Zim-
mergeselle gegen die Treupslicht vergangen, so wird sein
buntes Band — ein jeder erhält eines bei seiner Aufnahme,
das unter den Zunftzeichen sorgsam verwahrt prangt —
vor aller Augen zerrissen. Auch Schuldenmachen ist ver-
boten. Von der Oberleitung, die sich in Bremen befindet,
wird auf strenge Wahrung des Brauchtums und treue
Befolgung der Gesetze gehalten. So wird es verständlich,
daß sich die Gesellen handfest wehren, wenn sich Nach-
ahmungen ihrer Brüderschaft breitmachen wollen, denen
der gute Kern der straffen, ehrbaren Disziplin fehlt und
denen es nicht so ernst ist um die Ehrbarkeit der Zunft, das
heißt um die Tüchtigkeit und Vervollkommnung in ihrem
altehrwürdigen Beruf. Äußerlich kennzeichnen sich die
Mitglieder dieser traditionslosen Gesellschaften, wie zum
Beispiel die „Freien Vogtländer" und andere, durch bunt-
farbige Bänder, blau oder rot, zum Unterschied von den

Oer Altgefell
der Zimmerer
prüft zugereiste Fremde,
fragt nach Herkunft, nach

Zuge-
hörigkeit,
Fremdenzettel
und Begehr, wor-
auf die jungen Leute in
altgewohnter Spruchform
Bescheid geben. (Photothek)
 
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