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Die Stilformen und ihr Beitrag zur Baumeisterfrage

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Blickfeld des Entwerfers gerückt hat, der sie dann in einer
eigenständigen und qualitätvollen Weise verarbeitet hat.

Die Geschlossenheit und Ruhe des Wülzburger Tores
wird besonders deutlich, wenn man es mit seinem näch-
sten Verwandten vergleicht, dem »Christiansportal« der
Plassenburg (Abb. 182). 1606/07 von Hans Werner gestal-
tet, wirkt hier der untere Teil des Portals wie eine Varian-
te des Wülzburger Tors, reduziert auf die rundbogige
Hauptöffnung und zwei flankierende Säulenbündel. Frei-
lich gilt dies nur für die Gesamtgliederung einschließlich
der Rustikabänderung. Im Detail zeigen sich hier schon
ausgesprochen manieristische Elemente, wie vor allem
die Bögen, die die hinteren Säulen verbinden und von der
weit höheren vorderen Säule überschnitten werden. Noch
weit deutlicher wird diese spannungsreiche Formenspra-
che durch den hohen Aufbau, der die Reiterstatue des
Markgrafen Christian und zwei flankierende römische
Krieger umschließt und durch die Sitzfigur der Minerva
bekrönt wird. Die drei Bögen sind aus schweren, auf den
Säulen des Unterbaues lastenden Blöcken gefügt und die
wuchtigen Rundgiebel und mächtigen Formen der Skulp-
turen verstärken dies noch; die Überschneidung und Bre-
chung der Giebel ist gestalterisches Grundprinzip. Allein
der Markgraf darf, bei aller Wucht der Formen, über-
schneidungsfrei in seiner tiefen Nische stehen und wird
auch durch dieses Mittel zum Zentrum der Gestaltung.
Das untere Geschoß dieses Portals - also das, was auf der
Wülzburg noch die Hauptsache war und dort einen Ein-
druck proportionierter Ruhe hinterläßt - ist hier, kaum
zwanzig Jahre später, zum optisch eher zurücktretenden
Sockel einer spannungsreichen, vorbarocken Gesamt-
komposition geworden.

Wer der Gestalter des Wülzburger Tores gewesen ist,
dessen Eigenständigkeit durch diesen Vergleich noch
deutlicher wird, kann aufgrund der Quellenknappheit
nicht festgestellt werden. Die Erwähnung des 1589 schon
im Bau befindlichen Tores in Verbindung mit der Überle-
gung, die aufwendige Fassade sei in den Folgejahren an
die heutige Stelle versetzt worden, ergibt eine gewisse
Wahrscheinlichkeit, daß wir das wohl letzte Werk Blasius
Berwarts d.Ä. vor uns haben. Den von dem Tor abhängi-
gen, aber dennoch andersartigen Charakter der Formen
am Schloßbau mag man als Bestätigung dieser Zuschrei-
bung an den bald verstorbenen, ersten Baumeister der
Wülzburg begreifen. Von Sicherheit kann aber auch in
diesem Punkt keine Rede sein; diese endet vielmehr bei
dem Faktum, daß das Tor vor 1603 fertig war, weil der
Aufsatz noch das Allianzwappen des in diesem Jahr ver-
storbenen Georg Friedrich und seiner Gemahlin Sophie
zeigt.

Im übrigen darf nicht vergessen werden, daß die Fassa-
de nur der erhaltene Rest einer mehrteiligen Toranlage ist
(vgl. 3.15.). Die dreischiffige Torhalle mag von Anfang an
Teil derselben Komposition gewesen sein, denn die drei-
teilige Gliederung der Fassade paßt prinzipiell gut zu ihr;
angesichts des Verschwindens der Halle ist dies aber reine
Vermutung. Den Turm auf der Torhalle, fraglos einer der
spätesten ausgeführten Teile der Festung, darf man hinge-

gen einer zweiten Entwurfsphase zuweisen; sein ungefäh-
res Aussehen kennen wir allein aus dem Merianstich
(Abb. 189). Er saß ohne jede formale und konstruktive
Integration auf der Torhalle und gehörte auch in eine
ganz andere Tradition der Torform, nämlich in die des
mittelalterlichen Torturmes. Gerade um 1600 erlebte
diese mittelalterliche Tradition im süddeutschen Raum
eine letzte Blüte, die von Augsburg ausging. Für die Bau-
ten Elias Holls, auch seine Tortürme, waren ab etwa 1605
achteckige Oberbauten und Kuppeldächer charakteri-
stisch, und daß diese Ausstrahlung bis in den Raum nörd-
lich der Donau reichte, dafür war nicht nur der Gemmin-
genbau (1609-1619) der Eichstätter Willibaldsburg ein
Beleg171. Auch die Tortürme von Ellingen, oder-von
augsburgischen Vorbildern unabhängiger-jene von Nörd-
lingen gehören zu den Beispielen später Tortürme in
Renaissanceformen, die zur Ergänzung des Hallenkon-
zeptes der Wülzburg geführt haben dürften.

Soweit zum Torbau der Wülzburg. Auch im Falle des
Schlosses lassen es die Quellen nicht unmittelbar zu, die
Herkunft der Formen bzw. den Baumeister zu ermitteln.
Der bisher einzige Versuch in dieser Richtung war Hof-
manns Annahme, der ab frühestens 1587 in Ansbach täti-
ge, aus Ulm stammende Baumeister Gideon Bacher sei
für verschiedene Teile der Wülzburg, vor allem eben für
den Schloßbau, verantwortlich zu machen; dies entbehrt
aber jeder Grundlage172. In den Quellen gibt es nicht den
geringsten Hinweis, daß Bacher überhaupt irgendwie mit
der Wülzburg befaßt war, und der Stilvergleich spricht mit
größter denkbarer Entschiedenheit gegen diese Zuschrei-
bung. Denn die Ansbacher Hauptwerke Bachers - der
Turm der Gumbertkirche und das anschließende Kanzlei-
gebäude - zeigen eine solch spannungsvolle, zum Manie-
rismus tendierende Originalität, daß sie mit der schlichten
Solidität des Schlosses auf der Wülzburg in keine Bezie-
hung gebracht werden können.

171 Bernd Roeck, Elias Holl, Architekt einer europäischen Stadt,
Regensburg 1985.

172 HOFMANN, S. 47-55. Hofmanns Annahme, Bacher habe
etwa 1591-1601 an der Wülzburg gebaut, wurde später gele-
gentlich undiskutiert abgeschrieben. Bacher war gleichfalls
ansbachischer Hofbaumeister, der spätestens ab 1594 vor
allem an seinen Hauptwerken in Ansbach arbeitete, der Drei-
turmfassade von St. Gumbert, dem Kanzleigebäude daneben
und dem (zerstörten) Lusthaus.

Es sei noch angemerkt, daß bei den Tortürmen von Nördlingen
und der Burg Hochberg bei Emmendingen, die in der älteren
Literatur (Albrecht Weyermann, Nachrichten von Gelehrten,
Künstlern ... aus Ulm, Ulm 1798, S. 31 f.) als Frühwerke
Bachers benannt werden, nach der neueren Literatur (Her-
mann Kessler, Die Stadtmauer der freien Reichsstadt Nördlin-
gen, Nördlingen 1982 (Schwab. Geschichtsquellen u. Forschun-
gen, 12), S. 47-82; Rolf Brinkmann, Burgruine Hochburg.
Emmendingen 1984, S. 18ff., 40ff.) keine Beteiligung Bachers
greifbar ist. Im Falle der Burg Hochberg ist der Irrtum leicht
zu klären: Bacher hat in Wahrheit das zur Herrschaft Hoch-
berg gehörende Schloß im nahen Emmendingen gebaut, einen
Bau von wenig auffälliger, spätgotischer Formgebung. Auch in
Nördlingen mag er gearbeitet haben, aber kaum in herausra-
gender Position.
 
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