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Biller, Thomas
Die Adelsburg in Deutschland: Entstehung, Form und Bedeutung — München, 1998

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https://doi.org/10.11588/diglit.4980#0148
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IV. Entstehung und Klassik der deutschen Adelsburg

sehen Dichtung im 12./i 3. Jahrhundert. Sie soll durch zur Schau getragene Stärke schrek-
ken, den Angriff durch gezielt erzeugte Angst- und Ohnmachtsgefühle eher vermeiden als
ihm baulich standzuhalten. Damit erfüllt sie ähnliche Funktionen wie Waffen, Kleidung
und Auftreten des Adels.

Ist diese Art Burg gegenüber Motte, Turmburg und anderen frühen Formen um neue
Teile und Gestaltungselemente bereichert worden, so stellt sie gegenüber anderen Frühfor-
men, wie sie etwa in der Harzburg oder der Habsburg bekannt geworden sind, sogar eine
Reduktionsform dar - die Beschränkung auf das Wesentliche wird hier zur Voraussetzung
von Prägnanz. Dabei bleibt die klassische Burg in der Anordnung ihrer Einzelbauten so
flexibel, daß sie den Schwierigkeiten des Bauplatzes fast unbegrenzt angepaßt werden kann.
Neben der kraftvollen Versinnbildlichung von Herrschaft, guter Bewohnbarkeit und Ver-
teidigungsfähigkeit stellt dies die letzte Voraussetzung dafür dar, daß sie im 13. Jahrhundert
und danach im ganzen deutschen Sprachraum zahlreich realisiert wird.

Aus der Sicht der Architckturgeschichte ist die Adelsburg der klassischen Phase das
vollständig entwickelte Herrschaftssymbol einer endgültig etablierten gesellschaftlichen
Schicht.'36 Die Ausgewogenheit ihrer Architektur, in der defensive Funktionalität und
Repräsentation zu einem monumental überhöhten Ganzen verbunden sind, entspricht
einem Adel, der nicht nur kriegerisch, sondern auch politisch und kulturell das im Rahmen
seiner Zeit Erreichbare vollständig errungen hat, während er dem erhöhten wirtschaftlichen
und politischen Druck der Folgezeit noch nicht ausgesetzt ist. Diese vollständige Entspre-
chung von Form und Inhalt rechtfertigt das Prädikat des »Klassischen«.

Wohnbau, »Palas« und Kapelle (12.113. Jahrhundert)

Die Einfachheit der klassischen Burg, ihre Beschränkung auf nur wenige definierende
Bauteile läßt die Analyse ihrer baulichen Gestalt großenteils zur Analyse dieser Bauteile
werden. Dabei kann auf die Verteidigungselemente Bergfried und Ringmauer verzichtet
werden. Der Bergfried und seine mutmaßlichen Vorläufer sind schon hinreichend disku-
tiert worden, die Ringmauer - mit dem Tor, das fast immer als einfache Maueröffnung
erscheint — ist in ihrer Schlichtheit zu formaler Differenzierung ungeeignet. Beide wirken an
der Gesamtkomposition der Burg vor allem durch ihre Baukörperlichkeit mit (und, im
wichtigen Sonderfall des Buckelquadermauerwerks, durch die Strukturierung ihrer Flä-
chen; vgl. Kap. IV, S 185—194). Anders steht es mit zwei Bauten, zu deren Funktion eine
stärkere räumliche Gliederung und ein gewisses Maß an Detailgestaltung bzw. Ornamentik
gehört: dem Wohnbau und der Kapelle.

Zu den sehr lebensfähigen Erbschaften der »Burgenkunde« gehört die Gewohnheit, den
Begriff »Palas« nicht nur auf jene romanischen Saalbauten anzuwenden, deren früheste
Vertreter in Pfalzen zu finden sind, sondern ihn aufjeden bewohnbaren Bau innerhalb einer
Burg, unabhängig von Umfang, räumlicher Untcrgliedcrung, formaler Gestaltung und
Entstchungszcit zu beziehen. In dieser Weite ist der Begriff nicht sinnvoll, und zwar nicht
nur deswegen, weil er zwei Bauten von verschiedener Gestalt und Funktion »in einen Topf

'3'' Maurer gebraucht hier gelegentlich und aus wissenschaftlich gutem Grund das Wort »Klasse«, das
leider ständig mit marxistischen Ansätzen assoziiert wird, obwohl es längst auch von Soziologen
verwendet wird, die nun wahrhaftig in keiner denkbaren Weise »links« sind.
 
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