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Zeitschrift des Bayerischen Kunstgewerbe-Vereins zu München: Monatshefte für d. gesammte dekorative Kunst — 1894

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Heft 8
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Bock, Fr.: Byzantinische Purpurstoffe mit eingewebten neugriechischen Inschriften: "Pallium litteratum" mit Elephantenmuster im reliquienschreine Karls des Großen des Aachener Münsters
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https://doi.org/10.11588/diglit.6754#0081
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betrachtet werden, da die Lotuspflanze in ähnlichen Formen
in den altägyptischen Webereien und in den Wirkereien an
der bsochkette (Gobelins) des Nillandes häufig vorkonunt.
Was formverwandte parellelen betrifft, so könnte der Zeit
nach unser Elephantenstoff fast identisch sein mit der reich
gemusterten kostbaren planem in alter Glockenform, die
der hl. Bernard im Jahre l l^o in der Benediktinerabtei-
Airche zu Brauweiler bei Eöln bei der Feier der hl. Messe
getragen hat.ff

Das schwere Seidengewebc dieser casula, deren stofflicher
Inhalt mehr als J5 Ellen beträgt, ist ebenfalls zu den pallia
rotata oder orbiculata cum historia de aquilis byzantinischer
Provenienz zu rechnen, wie ähnlich gemusterte Texturen von
älteren Schriftstellern benannt werden. Auch in der an alt-
liturgischen Ornaten so reichhaltigen „Zitier" des Domes zu
Halberstadt werden unter einer großen Zahl der prächtigsten
liturgischen Gewänder auch solche aufbewahrt, die Bischof
Eonrad von Halberstadt nach der Einnahme von Eon-
stantinopel durch' die Lateiner im Jahre s20^ als Sieges-
antheil seiner Aathedralkirche überbrachte. Unter diesen vielen
metallischen und stofflichen Seltenheiten des kunstsinnigen
Bischofs, die heute uoch ziemlich vollständig in der Gewand-
Halle des Halberstädter Domes — gazophylaceum — zu er-
sehen sind, finden sich auch mehrere Purpurftoffe, deren natur-
historische Dessins, von Areisen eingefaßt, hinsichtlich ihrer
Darstellungsweise und Stilisirung mit der Musterung unseres
Elephantenstoffes große Verwandtschaft zeigen.

Daß das in diesem fjeft abgebildete kaiserliche Purpur-
gewebe der entwickelten byzantinischen Seidenfabrikation, der
letzten Hälfte des \2., und nicht dein fi. oder (0. Jahrhundert
angehöre, ergibt sich auch augenfällig aus einem Vergleich
unseres Elephantenstoffes mit den ähnlich fabrizirten Purpur-
geweben im Reliquien-Schreine des hl. Anno zu Siegburg bei
Löln und im Aunstgewerbe-Museum zu Düsseldorf, die mit
auffallend großen Löwenfiguren durchwirkt sind und deren
eingewebte Inschriften ein genau abgegrenztes Datum zur
Schau tragen. Dieselben sind ebenfalls in dem kaiserlich mono-
polisirten Weberhaus des Zeuxippos zu Aonstautinopel am
Schluffe des \0. und Anfang des ff. Jahrhunderts an-
gefertigt worden. In diesen beiden eben bezeichneten Purpur-
stoffen, ff die ehemals als aulaea, stragulae oder tapetiae
kirchlich in Gebrauch waren, zeigen die mächtig ausschreitenden
Löwenbilder, vielleicht symbolische Repräsentanten des Löwen
vom Stamme Juda, der gesiegt hat, ohne alle Einfassungen
von Areisen, eine auffallend strenge Stilisirung. Auch das
ornamentale Beiwerk ist in diesen älteren Purpurstoffen noch
sehr geringfügig und unentwickelt im Gegensatz zu dein reich-
gestalteten und idealisirten Pflanzenwerk und den ornamental
ausstaffirten Elephantenfiguren, wie sie uns in dem äußerst

') Dgl. die polychrome Abbildung und Beschreibung dieser rcich-
gemusterten easula St. Bernardi in unserem Werke der „Geschichte der
liturgischen Gewänder des Mittelalters", ll. Band, Tafel 32 Seite 246
und 248, Bonn \866.

-) 31t dem zweiten Tbeile dieser Abhandlung sollen die Abbildungen
der eben bezeichneten Löwenstoffe, die heute in dem Reliquienschreine
des hl. Anno zu Siegburg und in dem Kuustgewerbe-Museum zu Düssel-
dorf sich befinden, vorgeführt und ausführlich beschrieben werden. Line
Abbildung der letztgedachten Düsseldorfer Textur ist bereits von Direktor
Frauberger im „Jahrbuch d. Der. d. Alterthumsfreunde in den Rhein-
landen", XCIII, S. 224—232 veröffentlicht und ausführlicher besprochen
worden.

farbenreichen Purpurgewebe auf Tafel 30 und 3 s entgegen-
treten. Die eben geäußerte Annahme, daß unser Elephanten-
stoff der letzten Hälfte des \2. Jahrhunderts, der Blüthezeit
der byzantinischen Seideniitdustrie des Zeuxippos, angehöre,
steht auch im Einklang mit den paläographischen tmd archäo-
logischen Forschungen deutscher Gelehrten und Fachmänner,
deren entgegenkommende Mittheilungen uns brieflich vorliegen.

Aber auch geschichtliche Anhaltspunkte finden sich vor,
welche dieser eben bezeichneten Annahme das Wort reden
dürften. Bei Gelegenheit der feierlichen Seligsprechung Earls
des Großeti uitd der zweiten Erhebung seiner irdischen Ueber-
reste durch Aaiser Friedrich Barbarossa im Jahre P66
wurden die Gebeine des großen Aaiserhelden in einem provi-
sorischett Schreinwerk niedergelegt. Von der Stiftsgeistlichkeit

2. Siziliauisches Seidengewebe.

Beginn des ^Z. Jahrhunderts. Aus deni Reliquienschreine Karls des Großen in
Aachen. Grund dunkelbraun, Zeichnung roth, blau, gelb und weiß.

Nach »Melanges d’Archeologie.« III. PI. XVI.

und den Bürgern der Stadt Aachen wurde darauf der Be-
schluß gefaßt, einen kostbaren Reliquienschrein anfertigen zu
lassen, in welchem für alle kommenden Zeiten die irdischen
Ueberbleibsel des seligen Gründers der Stadt aufbewahrt
werden sollten. Diese heute noch im Schatze des Aachener
Münsters vorfindliche kostbare »tumba Caroli M.« dürfte erst
gegen Ausgang des \2. Jahrhunderts vollendet worden sein.
Unsere Annahme geht nun dahin, daß das provisorische
Schreinwerk, welches die aus der »curvatura sepulchri«
erhobenen Gebeine des selig gesprochenen Aaisers im Jahre
P66 aufnahm, dem Gebrauche der Zeit gemäß mit unserem
Elephantenstoff als kaiserlichem Grab- oder Bahrtuch — ärap
de morts — bedeckt und verhüllt worden sei, wenn nicht
der anderen Annahme mehr Gewicht beizulegen sein dürfte,
daß unser Purpurstoff bei der obengedachten beariticario durch
 
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