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Bulletin du Musée National de Varsovie — 37.1996

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Nr. 3-4
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Dobrzeniecki, Tadeusz: Ideengehalt der "Grablegung" Caravaggios
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https://doi.org/10.11588/diglit.18945#0176
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In Caravaggios Gemälde fällt die verfeinerte Innigkeit in der Darstellung der
Muttergottes auf (Abb. 1). Ihr Antlitz strahlt Sänfte aus, sein Ausdruck ist
gedämpft. Der fehlende tiefe Schmerz im Gesicht Marias weist darauf hin, daß
dem Maler das bereits Ende des 13. Jh. aufgeworfene Problem des Anteils der
Muttergottes am Erlösungswerk wohl bekannt war. Für meinen Aufsatz
“Mediaeval Sources of the Pietà” (auch in polnischer Fassung) habe ich
zahlreiche mittelalterliche Texte untersucht und verschiedene Typen gotischer
Vesperbilder analysiert, woraufhin ich zu der Ansicht gelangt bin, daß nicht die
Beweinung der Inhalt dieser als Pietà bezeichneten Gruppe ist, sondern das
Opfern des Sohnes durch die Mutter nach dem Vorbild des vom Gottvater
dargebrachten Opfers. Der Terminus Cappella della Pietà soll demzufolge
nicht als Kapelle der Beweinung, sondern als Kapelle der Pietà - des von
Maria, von der Tugend der Pietas bewogen, vollbrachten Abendopfers -
übersetzt werden. Es sei hier aus meinem Aufsatz zitiert5:

“Eine der populärsten Darstellungen in der Kunst des Mittelalters pflegt
man als Pietà zu bezeichnen, mit einem Terminus also, der ... dem lateinischen
Begriff pietas entspricht6. Dabei handelt es sich um eine Abkürzung der im
Mittelalter für Maria mit dem Teichnam Christi auf dem Schoß verwendeten
Bezeichnung Domina nostra de pietate. In der Bibel werden über 20mal Werke
der Tugenden Gerechtigkeit und Barmherzigkeit mit dem Terminus pietas
umrissen. Paulus nennt Christus Magnum sacramentimi Pietatis7. Es gibt eine
göttliche Tugend - die Pietas Dei, Pietas Christi. Maria wurde für die
vollkommenste Nachfolgerin göttlicher Tugenden, der lugenden Christi, darunter
auch jener Pietas, angesehen. Maria fuit imitatrix precipua Christi, filii sui,
quem secuta est affectu Pietatis.8 Zu ihren zahlreichen Titeln gehörten schon früh
folgende: Mater Pietatis, Plenitudo Pietatis, Templum Pietatis und vor allem Fons
Pietatis. Den letzteren Titel erklärte Raymundus Jordanus vor 1380: Maria est
fons pietatis erga misseros peccatores ad quos fluunt misericordiae eius.9 Eine
ausschöpfende, auf Thomas von Aquin10 gestützte Definition gab Antoninus von
Florenz: Fons Pietatis sive quantum ad actus divini cultus et reverentiae sive
quantum miserationis et subveniendi pauperibusd1 Die Pietas von Maria war also
zugleich ein Akt des Gottesgehorsams und ein Akt der Barmherzigkeit gegenüber
denjenigen, die ihre Hilfe brauchten. Albertus Magnus {Super Missus est, cap. 191)
nannte Maria die vollkommenste Nachfolgerin Gottes: Imitatrix summi principii
in summo. Daß Maria mit dem Teichnam Christi auf dem Schoß als Domina

5 T. Dobrzeniecki, Mediaeval Sources ..., op. cit., S. 5.

6 C. Du Cange, Glossarium ad Scriptores mediae et infimiae latinitatis, Parisiis 1733, vgl.
Dobrzeniecki, Mediaeval Sources ..., op. cit., Anm. 1.

7 1. Thim. 3,16.

8 Bernhardin von Siena (1380-1444), Senno de Assumptione BMV, vgl. Dobrzeniecki, Mediaeval
Sources ..., op. cit., S. 5, Anm. 3.

9 De Maria Virgine, pars I, contemplât. 15, vgl. Dobrzeniecki, Mediaeval Sources ..., op. cit., S. 5,
Anm. 5.

10 Summa Theologica, pars IV, tit. 15, cap. 1, § 2, vgl. Dobrzeniecki, Mediaeval Sources ..., op. cit.,
S. 5, Anm. 6

11 Vgl. Dobrzeniecki, Mediaeval Sources ..., op. cit., S. 5, Anm. 7.

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