ALTALEMANNISCHE SPRACHQUELLEN AUS DER REICHENAU
BIBLIOTHEKDIREKTOR PROFESSOR DR. TH. LÄNG IN / KARLSRUHE
Der rasch steigende rühm
der Reichenau*) lockte Geistliche aus allen
Teilen der damaligen römisch-christlichen Welt
herbei. Sollten diese in der Kloster schule oder
gar unmittelbar in der alemannischen Bevölkerung
tätig sein, so genügte das internationale Kirchen-
latein nicht. Es war nötig, das Wichtigste in der
Volkssprache deuten zu können. Nun war, wesent-
lich infolge der Anordnungen Karls des Großen,
eine rege Ausbildung der Geistlichen in Latein
und ein eindringendes Studium der Bibelkommen-
tare, Kirchenväter und kirchlich erlaubten Klas-
siker eingetreten. Deshalb entstand eine umfang-
reiche Tätigkeit zur Glossierung dieser Schrift-
steller, die zur Herstellung von lateinischen Wör-
terbüchern (Glossaren) führte. Ein kurzer Schritt
weiter in der besonderen Aufgabe der fränkischen
Kolonisationsklöster führte zu lateinisch - deu t-
sehen Wörterbüchern. Das ausdrückliche Ziel,
die Volkssprache für kirchliche Zwecke zu be-
nutzen, ist vom Konzil von Tours 813, also noch
vor Karl des Großen Tod, ausgesprochen wor-
den: Die Bischöfe sollten ,die Predigten in die
romanische und deutsche Volkssprache (rusticam
romanam linguam et theotiscam) übersetzen, da-
mit alle um so leichter verstehen können, was
gesagt wird' *); 847 wurde dies nochmals ein-
geschärft.
Man ging aber noch weiter und übte die Über-
setzung und Erklärung von Kirchenhymnen in der
Volkssprache der Schüler. Und so finden wir
denn in Reginberts Verzeichnis IV von 786 bis
842 ausdrücklich aufgeführt: ,im 21. Band sind
enthalten 12 in deutscher Volkssprache gebildete
Lieder (carmina2) theodiscae linguae formata);
im 22. Band befinden sich ,. .. verschiedene Lie-
der, um die deutsche Volkssprache zu lehren“
(.carmina diversa ad docendum theodiscam lin-
guam“ ).3)
Wenn er auch in seinen früheren Verzeichnissen
I rotulus von 821, Nr. 151 und II de insula
Nr. 151 ( ,von Liedern in deutsch 1 Band“)
solche aufführt, so dürfen sie wahrscheinlich
zum gleichen Zweck bestimmt gewesen sein. Da
er im III. Verzeichnis keine nennt, darf ver-
mutet werden, daß diese Bände Lieder schon vor
823 geschrieben worden sind. Als Schreiber kom-
men Reginbert oder seine Schüler in Betracht.
Damit hatte man das sangesfrohe deutsche und
germanische Gemüt erfaßt. Wird doch von dem
angelsächsischen Bischof Aldhelm von Sches-
burn, Abt von Malm (T709), erzählt, daß er,
als das Volk vor seiner Predigt davon lief, sich
ihm auf der Brücke wie ein Berufssänger ent-
gegenstellte und so die ganze Menge fesselte.4)
Neben die Wirkung auf die Massen oder größere
Gruppen trat die ins einzelne gehende Belehrung
durch Unterricht in den wichtigsten Lehren der
Kirche, die schließlich zu Bekenntnis, Taufe und
Abschwörung des Götterglaubens führte. Für die
Klosterschüler und Mönche war dann noch
das Verständnis der Benediktinerregel besonders
wichtig und von Karl dem Großen besonders,
gefordert.
Aus allen diesen Gebieten der Verwendung der
Volkssprache für Kirchentum sind noch altale-
mannische Belege vorhanden. Sie stammen ent-
weder aus St. Gallen oder aus der Reichenau und
deren Wirkungskreis; die andern alemannischen
Klöster kommen kaum in Betracht. Zwar sind
diese Denkmäler in der Reichenau selbst, je mehr
sich die Sprache mit dem Fortschreiten der Jahr-
hunderte verändert hat, vergessen worden. Man
wird nicht fehl gehen, wenn viele altalemannische
Übersetzungen gerade so vernichtet worden sind
wie die alten liturgischen Handschriften, die der
endgültigen Fassung des römischen Breviers nicht
mehr entsprachen: sie wurden zum Binden zer-
schnitten oder zum Wiederbeschreiben abgekratzt.
Anderes mag später, wie bei dem Brand 1006,
BIBLIOTHEKDIREKTOR PROFESSOR DR. TH. LÄNG IN / KARLSRUHE
Der rasch steigende rühm
der Reichenau*) lockte Geistliche aus allen
Teilen der damaligen römisch-christlichen Welt
herbei. Sollten diese in der Kloster schule oder
gar unmittelbar in der alemannischen Bevölkerung
tätig sein, so genügte das internationale Kirchen-
latein nicht. Es war nötig, das Wichtigste in der
Volkssprache deuten zu können. Nun war, wesent-
lich infolge der Anordnungen Karls des Großen,
eine rege Ausbildung der Geistlichen in Latein
und ein eindringendes Studium der Bibelkommen-
tare, Kirchenväter und kirchlich erlaubten Klas-
siker eingetreten. Deshalb entstand eine umfang-
reiche Tätigkeit zur Glossierung dieser Schrift-
steller, die zur Herstellung von lateinischen Wör-
terbüchern (Glossaren) führte. Ein kurzer Schritt
weiter in der besonderen Aufgabe der fränkischen
Kolonisationsklöster führte zu lateinisch - deu t-
sehen Wörterbüchern. Das ausdrückliche Ziel,
die Volkssprache für kirchliche Zwecke zu be-
nutzen, ist vom Konzil von Tours 813, also noch
vor Karl des Großen Tod, ausgesprochen wor-
den: Die Bischöfe sollten ,die Predigten in die
romanische und deutsche Volkssprache (rusticam
romanam linguam et theotiscam) übersetzen, da-
mit alle um so leichter verstehen können, was
gesagt wird' *); 847 wurde dies nochmals ein-
geschärft.
Man ging aber noch weiter und übte die Über-
setzung und Erklärung von Kirchenhymnen in der
Volkssprache der Schüler. Und so finden wir
denn in Reginberts Verzeichnis IV von 786 bis
842 ausdrücklich aufgeführt: ,im 21. Band sind
enthalten 12 in deutscher Volkssprache gebildete
Lieder (carmina2) theodiscae linguae formata);
im 22. Band befinden sich ,. .. verschiedene Lie-
der, um die deutsche Volkssprache zu lehren“
(.carmina diversa ad docendum theodiscam lin-
guam“ ).3)
Wenn er auch in seinen früheren Verzeichnissen
I rotulus von 821, Nr. 151 und II de insula
Nr. 151 ( ,von Liedern in deutsch 1 Band“)
solche aufführt, so dürfen sie wahrscheinlich
zum gleichen Zweck bestimmt gewesen sein. Da
er im III. Verzeichnis keine nennt, darf ver-
mutet werden, daß diese Bände Lieder schon vor
823 geschrieben worden sind. Als Schreiber kom-
men Reginbert oder seine Schüler in Betracht.
Damit hatte man das sangesfrohe deutsche und
germanische Gemüt erfaßt. Wird doch von dem
angelsächsischen Bischof Aldhelm von Sches-
burn, Abt von Malm (T709), erzählt, daß er,
als das Volk vor seiner Predigt davon lief, sich
ihm auf der Brücke wie ein Berufssänger ent-
gegenstellte und so die ganze Menge fesselte.4)
Neben die Wirkung auf die Massen oder größere
Gruppen trat die ins einzelne gehende Belehrung
durch Unterricht in den wichtigsten Lehren der
Kirche, die schließlich zu Bekenntnis, Taufe und
Abschwörung des Götterglaubens führte. Für die
Klosterschüler und Mönche war dann noch
das Verständnis der Benediktinerregel besonders
wichtig und von Karl dem Großen besonders,
gefordert.
Aus allen diesen Gebieten der Verwendung der
Volkssprache für Kirchentum sind noch altale-
mannische Belege vorhanden. Sie stammen ent-
weder aus St. Gallen oder aus der Reichenau und
deren Wirkungskreis; die andern alemannischen
Klöster kommen kaum in Betracht. Zwar sind
diese Denkmäler in der Reichenau selbst, je mehr
sich die Sprache mit dem Fortschreiten der Jahr-
hunderte verändert hat, vergessen worden. Man
wird nicht fehl gehen, wenn viele altalemannische
Übersetzungen gerade so vernichtet worden sind
wie die alten liturgischen Handschriften, die der
endgültigen Fassung des römischen Breviers nicht
mehr entsprachen: sie wurden zum Binden zer-
schnitten oder zum Wiederbeschreiben abgekratzt.
Anderes mag später, wie bei dem Brand 1006,