Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

C. G. Boerner, Auktions-Institut, Kunst- und Buchantiquariat <Leipzig> [Hrsg.]
Katalog einer kostbaren Sammlung zum Teil aus dem Nachlasse eines Leipziger Patriziers: enthaltend eine Sammlung wertvoller Miniaturen des XIII. bis XVI. Jahrhunderts ... ; Versteigerung: 13. und 14. November 1908 (Katalog Nr. 94) — Leipzig, 1908

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.16218#0009
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
MINIATUREN

Die Miniaturmalerei in ihrer Blütezeit führt nachfolgende Gruppe
an einzelnen höchst charakteristischen Beispielen vor Augen.

Die Serie beginnt mit drei nordfranzösischen Blättern des frühen
XV. Jahrhunderts, die man getrost den allerbesten Arbeiten Jean
Fouquets zur Seite stellen kann, wenn auch der Stil naturgemäß ein
anderer ist. Die Reproduktion in Lichtdruck gibt zwar die Feinheit
der Malerei auf das Präziseste wieder, muß aber auf die Wieder-
gabe der wundervollen Farben verzichten.

Eine ebenfalls interessante Gruppe bilden eine Anzahl Blätter der
sienesischen Schule aus der zweiten Hälfte des XIV. Jahrhunderts.
Es wird wohl wenig Miniaturen aus dieser Periode geben, die es
an Farbenpracht und Feinheit mit Nr. 8, dem heiligen Andreas am
Kreuz (Tafel II), aufnehmen können. Anschließend folgt eine Serie
von Heiligendarstellungen und Porträts von Bischöfen, die in der un-
gewöhnlich feinen Durchbildung der Gesichter an die besten Meister
der toskanischen Schule des Trecento gemahnen (Nr. 5, 8, 11, 14,
15 usw., Tafel III).

Als dritte größere Gruppe schließen sich eine Anzahl Blätter
französischen Ursprungs Ende des XIV. Jahrhunderts an, unter denen
besonders 8 Blatt aus der Passion hervorragen (Nr. 36, Tafel VI).
Sie sind durchweg mehr als kleine Gemälde behandelt und sind in
Komposition und Farbengebung ganz vorzüglich gelungen.

Von den einzelnen Blättern sei eine dem frühen XV. Jahrhundert
angehörige italienische Anbetung der Hirten ganz besonders her-
vorgehoben. Die Abbildung auf Tafel III (Nr. 10) gibt das vorzüg-
liche Blatt wieder. Kurz sei noch auf die Nummern 6, 9, 17, 26,
29, 30, 34, 35, 38, 47, 48 verwiesen, von denen einige frühe Blätter
besonders auffallen.

Einige dem späten XVI. und frühen XVII. Jahrhundert angehörige
Blätter schließen die feinsinnige Sammlung.

Initiale ,,I". Das Martyrium des heiligen Sebastians. 5,5:5,5 cm. Per- 1
gament. Rückseite: lateinischer Text. Nordfranzösisch. FrühesXV.Jahrh.

Die blattgefüllte Initiale in Blau, weiß gehöht, auf gemustertem Goldgrunde steht
in viereckiger violetter Umrahmung.

Rechts von der den Raum in gleiche Hälften teilenden Initiale steht am Baum-
stamme, an Händen und Füßen festgebunden, der bis auf den blauen Lendenschurz
unbekleidete, heilige Sebastian mit dem Heiligenscheine, in dessen Goldhöhung in
gotischen Lettern sein Name geschrieben steht. Der realistisch durchgebildete,
schmerzbewegte Körper ist von vielen Pfeilen durchbohrt, die grausame Wundmale
verursacht haben. Zu seinen Füßen liegt sein dunkelblaues Gewand. Die linke Hälfte
des Raumes wird gefüllt von zwei bogenschießenden Männern, von denen der
eine knieend, ein. prachtvolles ungarisches Kostüm trägt, während der andere,
aufrecht dahinterstehend, aus eine! Armbrust den Pfeil abschießt.

Der knieende Bogenschütze, der mit einem hervorragend schönen ungari-
schen Magnatenkostüm mit ganz porträtmäßig durchgebildetem Kopf dar-
gestellt ist und anscheinend nur pro forma den gespannten Bogen in An-
schlag hält, bildet wohl den Hauptgegenstand der Darstellung, und es er-
weckt den Kindruck, als sollte der Auftraggeber hier dargestellt werden,

Vergleiche die Reproduktion in Originalgröße auf Tafel I.

Auktions-Katalog XCIV von C. G. Boerner, Leipzig, Nürnbergerstr. 44
 
Annotationen