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Witkowski, Georg; C. G. Boerner, Auktions-Institut, Kunst- und Buchantiquariat
Katalog (Nr. 5): Almanache und Taschenbücher — Leipzig: C. G. Boerner, 1908

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Kalender und Almanache. Von Georg Witkowski
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https://doi.org/10.11588/diglit.54935#0006
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II

komplizierter seine Bedingungen wurden, um so schätzbarer, un-
entbehrlicher wurde die Hilfe des Kalenders. Von den beiden reinen
Anschauungsformen, durch die sich uns das Chaos sinnlicher Emp-
findungen in eine Welt von Erscheinungen verwandelt, ist der Raum
das Ruhende, Beständige, die Zeit das ewig Bewegte, Fortschreitende.
Daher das menschliche Bedürfnis, sie zu teilen, zu messen und da-
durch zu beherrschen. Kein Beruf, keine Tätigkeit, die nicht ihre
besonderen Beziehungen zur Zeit hätte und demgemäss, sobald einmal
auch hier die Spezialisierung der Bedürfnisse eintrat, nach ihrem
eigenen Kalender verlangte. Er wurde früh das wichtigste der Bücher,
noch vor Bibel und Gesangbuch, mit denen er später die Hausbibliothek
der grossen Masse bildete. Seit Johannes de Gamundia (Hans von
Schwäbisch-Gmünd) 1439 den ersten deutschen immerwährenden
Kalender auf zwei Holztafeln schnitt, hat sich freilich das Innere und
Äussere des unentbehrlichen Ratgebers immer wieder gewandelt, am
entscheidendsten, als Peypus in Nürnberg 1513 den ersten eigentlichen
Jahreskalender herausgab. Nun wurde das Hausbuch zu einer Zeit-
schrift, die regelmässig mit jeder Erdumdrehung wiederkehrte, und
damit waren zwei neue Momente der Entwicklung gegeben. Dem
abergläubischen Streben, hinter den Vorhang der geheimnisvollen
Zusammenhänge von Zeit und Schicksal zu blicken, konnten die
Kalendermacher und Astrologen, bewusste oder betrogene Betrüger,
mit ihren Praktiken hilfreich werden, und dem Gedächtnis bot der
Schreibkalender vor- und rückwärts willkommene Hilfe. Sorgsam be-
wahrt, vertrat er für den Besitzer und seine Nachkommen häufig die
Stelle des Tagebuchs, der Chronik.
Uber die genannten Zwecke hinaus wurde er zum Organe des
öffentlichen Lebens, als ihm die statistischen und politischen Angaben
alljährlich beigefügt wurden, die dem Beamten und dem Bürger nötig
und nützlich sein mochten. Schon seit 1637 erschien ein solcher
Hof- und Staatskalender in Wien; die andern Regierungen folgten
bald und so wuchs das unscheinbare Hausbuch zum stattlichen, auch
 
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