TIZIANS SEBASTIANSFIGUREN UND DIE VERKÖRPERUNG DER KUNST 257
Daß Sebastian darin Christus nachfolgt, macht Tizian durch die
Parallelisierung von Erlöser und Heiligem deutlich. Sie gleichen sich
in der Haartracht, dem Körpertyp und der Bekleidung mit dem Len-
denschurz. Christus schwebt über Sebastian von seinem Grab auf,
streckt seine geöffnete Hand zu ihm und läßt seinen Blick auf ihm
ruhen, als ob er dem Heiligen vorausgehe. Seine Auferstehung ist wie
ein Versprechen auf Sebastians siegreiches Martyrium. Durch die
Ähnlichkeit ihrer Körper zeigt Tizian an, daß die Auferstehung einen
neuen herrlichen Leib für alle Ewigkeit schenkt und somit die Aufop-
ferung des Leibes denselben erst garantiert.
Diese Beziehung zwischen Christus und Sebastian führt uns zu
einem zweiten Punkt, der das Altarbild aus Brescia von dem aus
SanNicolö in Venedig unterscheidet, es ist ein Polyptychon. In der
Sekundärliteratur wird immer wieder vermutet, daß der provinzielle
Geschmack des Auftraggebers für diese altmodische Form verant-
wortlich sei. Doch war der päpstliche Legat weder kulturell zurückge-
blieben, noch ist ein Polyptychon automatisch ein Rückschritt. Ein
praktischer Grund für die Wahl eines mehrteiligen Retabels anstelle
einer einheitlichen Tafel mag der Transport von Venedig nach
Brescia gewesen sein, der so vereinfacht wurde.601 Doch bietet das
Polyptychon vor allem Möglichkeiten, die bei einer großen Tafel
nicht bestehen. So kann hier für die Mitteltafel eine narrative Szene
gewählt werden, zu der die Darstellungen der kleineren Tafeln in
Beziehung stehen, ohne daß die Narration beeinträchtigt wird.
Andernfalls hätte die Auferstehung in der Anwesenheit von Seba-
stian, Nazarius und Celsus, dem Auftraggeber und der Verkündigung
stattfinden müssen. Bei dem mehrteiligen Retabel ist es dagegen
möglich, gleichzeitig darzustellen, wie der Märtyrer die Nachfolge
Christi auf sich nimmt und wie der päpstliche Legat von den Heiligen
seiner Kirche auf den Auferstehenden verwiesen wird. Zudem kön-
nen die Mysterien von Inkarnation und Eucharistie durch die Ver-
schränkung von Verkündigung und Auferstehung präsent gemacht
werden.602
Daß Sebastian darin Christus nachfolgt, macht Tizian durch die
Parallelisierung von Erlöser und Heiligem deutlich. Sie gleichen sich
in der Haartracht, dem Körpertyp und der Bekleidung mit dem Len-
denschurz. Christus schwebt über Sebastian von seinem Grab auf,
streckt seine geöffnete Hand zu ihm und läßt seinen Blick auf ihm
ruhen, als ob er dem Heiligen vorausgehe. Seine Auferstehung ist wie
ein Versprechen auf Sebastians siegreiches Martyrium. Durch die
Ähnlichkeit ihrer Körper zeigt Tizian an, daß die Auferstehung einen
neuen herrlichen Leib für alle Ewigkeit schenkt und somit die Aufop-
ferung des Leibes denselben erst garantiert.
Diese Beziehung zwischen Christus und Sebastian führt uns zu
einem zweiten Punkt, der das Altarbild aus Brescia von dem aus
SanNicolö in Venedig unterscheidet, es ist ein Polyptychon. In der
Sekundärliteratur wird immer wieder vermutet, daß der provinzielle
Geschmack des Auftraggebers für diese altmodische Form verant-
wortlich sei. Doch war der päpstliche Legat weder kulturell zurückge-
blieben, noch ist ein Polyptychon automatisch ein Rückschritt. Ein
praktischer Grund für die Wahl eines mehrteiligen Retabels anstelle
einer einheitlichen Tafel mag der Transport von Venedig nach
Brescia gewesen sein, der so vereinfacht wurde.601 Doch bietet das
Polyptychon vor allem Möglichkeiten, die bei einer großen Tafel
nicht bestehen. So kann hier für die Mitteltafel eine narrative Szene
gewählt werden, zu der die Darstellungen der kleineren Tafeln in
Beziehung stehen, ohne daß die Narration beeinträchtigt wird.
Andernfalls hätte die Auferstehung in der Anwesenheit von Seba-
stian, Nazarius und Celsus, dem Auftraggeber und der Verkündigung
stattfinden müssen. Bei dem mehrteiligen Retabel ist es dagegen
möglich, gleichzeitig darzustellen, wie der Märtyrer die Nachfolge
Christi auf sich nimmt und wie der päpstliche Legat von den Heiligen
seiner Kirche auf den Auferstehenden verwiesen wird. Zudem kön-
nen die Mysterien von Inkarnation und Eucharistie durch die Ver-
schränkung von Verkündigung und Auferstehung präsent gemacht
werden.602