256 DER LEIDENDE KÖRPER
Statur ist nun eine athletische Gestalt geworden, die gegen ihre Fes-
seln kämpft. Sein rechter Arm ist über den Kopf geführt und mit
einem Strick an den Baum gefesselt, der andere Arm ist nach unten
gebunden. Dadurch ist sein Rücken stark gespannt, den Kopf läßt er
nach vorne hängen. Die muskulösen Beine sind angewinkelt, das
rechte steht auf einem Säulenschaft. So befindet sich Sebastian in
einer komplizierten, schmerzvollen Stellung, der er mit der Anspan-
nung seiner gesamten Muskulatur begegnet. Er ergibt sich nicht pas-
siv in seine Lage, sondern arbeitet gegen sie an. Man sieht, wie stark
die Stricke seinen rechten Ellenbogen einschnüren, weil er sein
ganzes Gewicht dort hineinhängt. Zusätzlich betont Tizian den
großen Schultermuskel, mit dem der Heilige versucht, den linken
Arm nach vorne zu ziehen.
Gleichwohl wirkt Sebastian nicht wie ein Rasender, sondern
gefaßt und geduldig. Diesen Eindruck erwecken sein geneigter Kopf
und die herabhängenden Unterarme. Auch die gebeugten Beine
geben ihm den Anschein einer kraftvollen Ruhe, da er sich mit ihnen
weder eindeutig vom Boden abstemmt, noch nach unten gegen die
Fesseln zieht. Besonders der Gesichtsausdruck läßt ihn ergeben wir-
ken. Keine Anstrengung zeichnet sich dort ab, sondern er blickt ernst
vor sich auf den Boden, vielleicht erschöpft, resigniert oder schmerz-
erfüllt. So entsteht der Eindruck einer zur Passivität gezwungenen
Kraft. Die Anspannung seiner Muskeln zeigt eine Potenz, die im Mar-
tyrium so nicht mehr gebraucht wird. Nicht die Sprengung seiner Fes-
seln ist die Herausforderung, sondern das Martyrium auf sich zu
nehmen und den Körper zu opfern.
Diesen Eindruck der Aufopferung kann Tizian erzeugen, indem
der Heilige sich nicht aufbäumt, sondern seine ganze Haltung durch
das Hängen am oberen Strick definiert ist. Würde er sich zu voller
Größe aufrichten und weniger an den Stricken hängen, wirkte er selb-
ständiger und stolzer. So aber, in dieser Gleichzeitigkeit von Kraft und
Aufgabe, kann die körperliche Kraft für die seelische stehen, das Mar-
tyrium zu erdulden und das körperlich-irdische Leben aufzugeben.
Statur ist nun eine athletische Gestalt geworden, die gegen ihre Fes-
seln kämpft. Sein rechter Arm ist über den Kopf geführt und mit
einem Strick an den Baum gefesselt, der andere Arm ist nach unten
gebunden. Dadurch ist sein Rücken stark gespannt, den Kopf läßt er
nach vorne hängen. Die muskulösen Beine sind angewinkelt, das
rechte steht auf einem Säulenschaft. So befindet sich Sebastian in
einer komplizierten, schmerzvollen Stellung, der er mit der Anspan-
nung seiner gesamten Muskulatur begegnet. Er ergibt sich nicht pas-
siv in seine Lage, sondern arbeitet gegen sie an. Man sieht, wie stark
die Stricke seinen rechten Ellenbogen einschnüren, weil er sein
ganzes Gewicht dort hineinhängt. Zusätzlich betont Tizian den
großen Schultermuskel, mit dem der Heilige versucht, den linken
Arm nach vorne zu ziehen.
Gleichwohl wirkt Sebastian nicht wie ein Rasender, sondern
gefaßt und geduldig. Diesen Eindruck erwecken sein geneigter Kopf
und die herabhängenden Unterarme. Auch die gebeugten Beine
geben ihm den Anschein einer kraftvollen Ruhe, da er sich mit ihnen
weder eindeutig vom Boden abstemmt, noch nach unten gegen die
Fesseln zieht. Besonders der Gesichtsausdruck läßt ihn ergeben wir-
ken. Keine Anstrengung zeichnet sich dort ab, sondern er blickt ernst
vor sich auf den Boden, vielleicht erschöpft, resigniert oder schmerz-
erfüllt. So entsteht der Eindruck einer zur Passivität gezwungenen
Kraft. Die Anspannung seiner Muskeln zeigt eine Potenz, die im Mar-
tyrium so nicht mehr gebraucht wird. Nicht die Sprengung seiner Fes-
seln ist die Herausforderung, sondern das Martyrium auf sich zu
nehmen und den Körper zu opfern.
Diesen Eindruck der Aufopferung kann Tizian erzeugen, indem
der Heilige sich nicht aufbäumt, sondern seine ganze Haltung durch
das Hängen am oberen Strick definiert ist. Würde er sich zu voller
Größe aufrichten und weniger an den Stricken hängen, wirkte er selb-
ständiger und stolzer. So aber, in dieser Gleichzeitigkeit von Kraft und
Aufgabe, kann die körperliche Kraft für die seelische stehen, das Mar-
tyrium zu erdulden und das körperlich-irdische Leben aufzugeben.