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Bohde, Daniela; Vecellio, Tiziano [Ill.]
Haut, Fleisch und Farbe: Körperlichkeit und Materialität in den Gemälden Tizians — Emsdetten, 2002

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https://doi.org/10.11588/diglit.23216#0205
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203

I TIZIAN - EIN MEISTER DER DARSTELLUNG
VON SCHMERZ?

Pietro Aretino beschreibt anhand von Tizians «Martyrium des Petrus
Martyr» (Abb. 47), daß der Maler durch die farbliche Gestaltung von
Details des Inkarnats das körperliche und psychische Leid der Figu-
ren so anschaulich mache, daß der Betrachter aufschreien müsse. In
einem Brief vom Oktober 1537 heißt es:

«All die lebendigen Schrecken des Todes und all die wahren Lei-
den des Lebens erkanntet Ihr im Gesicht und in dem Fleisch des
zu Boden Gestürzten; Ihr verwundertet Euch über die Kälte und
Fahlheit seiner Nasenspitze und seiner Gliedmaßen und konn-
tet die Stimme nicht beherrschen, sondern mußtet laut ausru-
fen, als Ihr beim Betrachten des flüchtenden Gefährten in sei-
nen Zügen das Weiße der Feigheit und die Blässe der Angst
erkanntet.»486

Aus Aretinos Sicht ist Tizian in der Lage, durch die Differenzierung
des Inkarnats sowohl Gefühle wie Angst und Schrecken als auch
eine charakterliche Verfassung darzustellen, denn der Schriftsteller
vermag, die Blässe des beherzten Märtyrers von der des feige Fliehen-
den zu unterscheiden. Wie Tizian praktisch in dem 1867 verbrannten
Gemälde die moralischen Qualitäten durch das Inkarnat veran-
schaulicht, beschreibt Aretinos Rhetorik nicht. Man muß vermuten,
daß die Unterscheidungen des Schriftstellers mehr auf seinen
 
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