BERUFLICHE STELLUNG, TITEL UND AUFGABENBEREICH
DES STEINMETZBAUMEISTERS UNTER BERÜCKSICHTIGUNG
DES MITTELALTERLICHEN VERDINGUNGSWESENS
Berufliche Stellung, Titel und Aufgabenbereich des gotischen Baumeisters stehen in
gegenseitiger Wechselbeziehung. Darüberhinaus lassen sie sich nur im Zusammenhang
mit dem mittelalterlichen Verdingungswesen und im Hinblick auf die handwerkliche
Vorbildung darstellen, welche dem Baumeister gestatteten, einen Bau nicht bloß zu
planen, sondern auch selbst, das heißt mit eigenen Fachkräften, auszuführen. Er war also
oft Architekt und Unternehmer zugleich, um die heutigen Ausdrücke zu gebrauchen. An-
dererseits konnte er an den großen Bauten des Adels oder des Klerus unter Umständen
lediglich als Planer und Bauleiter tätig sein, wobei die Frage der Beschaffung von Arbeits-
kräften und Baustoffen entweder ihm selbst oder einem durch den Bauherrn eigens be-
stellten Bauverwalter oblag. Von der Art der Betätigung als selbständiger Baumeister
und Unternehmer einerseits oder als reiner Planer und Bauleiter andererseits hängt so-
wohl Titel wie Aufgabenbereich des gotischen Baumeisters ab.
Zweck dieses Abschnittes wird es sein, an Hand von Beispielen einen Überblick über
die ganzen Zusammenhänge zu geben. Zunächst einige allgemeine Feststellungen zur
Frage des mittelalterlichen Verdingungswesens:
Entgegen einer vielfach verbreiteten Ansicht kannte das Mittelalter nicht nur die Ver-
dingung im Taglohn. Vielmehr liefern sowohl Textstellen wie Vertragsurkunden den
Beweis, daß auch die Akkordverdingung absolut gebräuchlich war. Allerdings verwendet
das Mittelalter für die Übernahme eines Baues oder Bauteiles gegen feste Summe nicht
den Ausdruck „Akkord“, sondern „Fürgriff “ oder auch „Gedinge“. So enthält eine Predigt
von Berthold von Regensburg (1220-72) folgende Mahnung für die Zimmerleute und
Steinmetzen: „Und sie sulnt alle samt getriuwe und gewaere sin mit ir amten, sie wirken
tagewerk oder fürgrif, wan das tuont in dem amte vil zimberliute und Steinmetzen.
Unde wirkent sie tagewerk, sie sulnt nit deste traeger, daz der werke manniges werde.
Ist ez fürgrif, so solt du niht deste balder da von ilen, daz du sin schiere abe kumest und
daz es über ein Jahr oder über zwei darnider valle: du solt es mit triuwen wirken, reht
in der wise, als ob ez din selbes waere“.84
Wie ersichtlich war sich schon das Mittelalter über die Mängel und Vorzüge beider Ver-
dingungsarten klar: Auf der einen Seite der Taglohn mit der Gefahr, durch übermäßiges
Herausziehen der Arbeit die Bauzeit und damit die Kosten unnötig zu vergrößern. Dem
steht auf der andern Seite die Versuchung des Akkordvertrages gegenüber, sich durch
schlechtes Material und überhastete Leistung einen ungebührlichen Gewinn zu ver-
schaffen und so die Qualität des Baues zu vernachlässigen. Die zitierte Stelle aus der
erwähnten Predigt ist auch im Hinblick auf die vielfach geäußerte Ansicht interessant,
das Mittelalter habe sich auf die Taglohnverdingung beschränkt, weil die religiöse Ein-
stellung der Handwerker eine hohe Arbeitsmoral gewährleistet habe. Wie man sieht, war
das nicht der Fall, und Beispiele aus dem praktischen Bauen liefern weitere Beweise.
Das hochentwickelte königliche Bauwesen in Unteritalien, wie wir es aus den Quellen
des 13.Jahrhunderts kennen, bediente sich der Akkordverdingung sogar mit Vorliebe. War
ein Bau durch interne Beratung zwischen dem König und seinen Sachverständigen im Plan
23
DES STEINMETZBAUMEISTERS UNTER BERÜCKSICHTIGUNG
DES MITTELALTERLICHEN VERDINGUNGSWESENS
Berufliche Stellung, Titel und Aufgabenbereich des gotischen Baumeisters stehen in
gegenseitiger Wechselbeziehung. Darüberhinaus lassen sie sich nur im Zusammenhang
mit dem mittelalterlichen Verdingungswesen und im Hinblick auf die handwerkliche
Vorbildung darstellen, welche dem Baumeister gestatteten, einen Bau nicht bloß zu
planen, sondern auch selbst, das heißt mit eigenen Fachkräften, auszuführen. Er war also
oft Architekt und Unternehmer zugleich, um die heutigen Ausdrücke zu gebrauchen. An-
dererseits konnte er an den großen Bauten des Adels oder des Klerus unter Umständen
lediglich als Planer und Bauleiter tätig sein, wobei die Frage der Beschaffung von Arbeits-
kräften und Baustoffen entweder ihm selbst oder einem durch den Bauherrn eigens be-
stellten Bauverwalter oblag. Von der Art der Betätigung als selbständiger Baumeister
und Unternehmer einerseits oder als reiner Planer und Bauleiter andererseits hängt so-
wohl Titel wie Aufgabenbereich des gotischen Baumeisters ab.
Zweck dieses Abschnittes wird es sein, an Hand von Beispielen einen Überblick über
die ganzen Zusammenhänge zu geben. Zunächst einige allgemeine Feststellungen zur
Frage des mittelalterlichen Verdingungswesens:
Entgegen einer vielfach verbreiteten Ansicht kannte das Mittelalter nicht nur die Ver-
dingung im Taglohn. Vielmehr liefern sowohl Textstellen wie Vertragsurkunden den
Beweis, daß auch die Akkordverdingung absolut gebräuchlich war. Allerdings verwendet
das Mittelalter für die Übernahme eines Baues oder Bauteiles gegen feste Summe nicht
den Ausdruck „Akkord“, sondern „Fürgriff “ oder auch „Gedinge“. So enthält eine Predigt
von Berthold von Regensburg (1220-72) folgende Mahnung für die Zimmerleute und
Steinmetzen: „Und sie sulnt alle samt getriuwe und gewaere sin mit ir amten, sie wirken
tagewerk oder fürgrif, wan das tuont in dem amte vil zimberliute und Steinmetzen.
Unde wirkent sie tagewerk, sie sulnt nit deste traeger, daz der werke manniges werde.
Ist ez fürgrif, so solt du niht deste balder da von ilen, daz du sin schiere abe kumest und
daz es über ein Jahr oder über zwei darnider valle: du solt es mit triuwen wirken, reht
in der wise, als ob ez din selbes waere“.84
Wie ersichtlich war sich schon das Mittelalter über die Mängel und Vorzüge beider Ver-
dingungsarten klar: Auf der einen Seite der Taglohn mit der Gefahr, durch übermäßiges
Herausziehen der Arbeit die Bauzeit und damit die Kosten unnötig zu vergrößern. Dem
steht auf der andern Seite die Versuchung des Akkordvertrages gegenüber, sich durch
schlechtes Material und überhastete Leistung einen ungebührlichen Gewinn zu ver-
schaffen und so die Qualität des Baues zu vernachlässigen. Die zitierte Stelle aus der
erwähnten Predigt ist auch im Hinblick auf die vielfach geäußerte Ansicht interessant,
das Mittelalter habe sich auf die Taglohnverdingung beschränkt, weil die religiöse Ein-
stellung der Handwerker eine hohe Arbeitsmoral gewährleistet habe. Wie man sieht, war
das nicht der Fall, und Beispiele aus dem praktischen Bauen liefern weitere Beweise.
Das hochentwickelte königliche Bauwesen in Unteritalien, wie wir es aus den Quellen
des 13.Jahrhunderts kennen, bediente sich der Akkordverdingung sogar mit Vorliebe. War
ein Bau durch interne Beratung zwischen dem König und seinen Sachverständigen im Plan
23