den Säulendurchmesser in durchaus gleicher Weise. Der Eine spricht von „Maß“, der
Andere von „Modul“; eines entspricht dem andern.
Vitruv selbst bezeichnet sich nicht als den Erfinder der Methode, vielmehr beruft er sich
wie Roritzer, Schmuttermayer und Lacher auf die Vorfahren, weist also noch weiter zu-
rück. Es ist daher nicht verwunderlich, wenn wir ganz gleichartige Austeilungsmethoden
schon weit vor Vitruvs Zeit finden und zwar bei den Ägyptern. Ludwig Borchardt konnte
an Hand der von ihm auf gefundenen altägyptischen Werkrisse nachweisen, daß Kon-
struktionsregeln, also „Maße“ oder „moduli“ bereits von den damaligen Baumeistern be-
nutzt wurden.339 Und wenn man die von Borchardt abgebildete Werkzeichnung einer
ägyptischen Säule mit der Austeilung der toscanischen Ordnung von Hans Blum ver-
gleicht, so stellt man in der eigentlichen Konstruktionsweise kaum einen Unterschied fest.
Wir können also mit Sicherheit sagen, daß all die geschilderten geometrischen Hilfs-
mittel der gotischen Baumeister weder von ihnen erfunden wurden noch etwa ihnen allein
vorbehalten blieben. Ihre Ursprünge sind uralt und verlieren sich in den Frühzeiten
menschlicher Bautätigkeit. Man darf sie daher keinesfalls mit irgendeiner Stilepoche in
unmittelbaren Zusammenhang bringen, sondern muß ihren inneren Kern vom mensch-
lichen Auffassungsvermögen her zu erklären suchen. Geistige Probleme sind ja viel leich-
ter zu verstehen, wenn sie nicht nur mit Hilfe des geschriebenen oder gesprochenen Wortes
dargestellt werden, sondern durch erläuternde Zeichnungen auch optisch faßbar sind. So
sagt man nicht mit Unrecht, „der Architekt muß mit dem Bleistift sprechen“. Was lag
daher für den primitiven Menschen näher, als technische oder rechnerische Grundprobleme
in die gesetzmäßigen Elementarfiguren der Geometrie einzupassen; denn diese waren ge-
rade wegen ihrer Gesetzmäßigkeit am leichtesten faßbar und auch am leichtesten nachzu-
bilden. Die Bestätigung - wenigstens für das Mittelalter - gibt uns Villard, der seine geo-
metrischen Figuren verwendet, „um leicht zeichnen zu können". Und bezeichnender-
weise verliert die Baugeometrie erst in der Zeit mehr und mehr an Gewicht, in welcher der
Rechenunterricht auch die mittleren und unteren Schichten der Bevölkerung erfaßt — also
im 16.Jahrhundert. Man möchte sagen: die geometrische Vorstellungswelt wird von der
arithmetischen abgelöst, ohne jedoch ganz von ihr verdrängt zu werden; denn es gibt auch
heute noch Gebiete der Baukunst, vor allem der Bautechnik, wo geometrische Arbeits-
weisen nach wie vor in Übung sind. So verwenden wir neben der rechnerischen Statik
ebenso statische Verfahren zeichnerischer Art. Aber auch hier geht die geometrische Lösung
der Probleme der rechnerischen voraus und wird analog der allgemeinen Entwicklung
immer mehr durch die genaueren rechnerischen Methoden gleichsam in Zahlen umgesetzt.
So wiederholt sich sozusagen im kleinen nochmals die große Umwandlung vom figürlichen
zum rechnerischen Denken. Beide zusammen bilden eine kontinuierliche Entwiddungs-
linie, deren Verlauf wir bis in die römische Antike, ja sogar bis zu den Ägyptern zurück-
verfolgen können.
Man mag sich die Frage vorlegen, wie all diese Kenntnisse der antiken Welt durch die
Völkerwanderungszeit hindurch in die Hände des Mittelalters gelangten. Befaßt man sich
zunächst mit den zehn Büchern Vitruvs, so stellt man ihre Spuren in der karolingischen
Zeit in dem bekannten Brief Einhards fest. Später führt Hugo von St. Viktor (1097-1141)
Vitruvs Werk an, ebenso Abt Theoderich von St. Trond um 1099 und nach ihm Petrus
von Montecassino (1107-1141).340 Wir finden wörtliche Zitate bei Vinzenz von Beauvais,
110
Andere von „Modul“; eines entspricht dem andern.
Vitruv selbst bezeichnet sich nicht als den Erfinder der Methode, vielmehr beruft er sich
wie Roritzer, Schmuttermayer und Lacher auf die Vorfahren, weist also noch weiter zu-
rück. Es ist daher nicht verwunderlich, wenn wir ganz gleichartige Austeilungsmethoden
schon weit vor Vitruvs Zeit finden und zwar bei den Ägyptern. Ludwig Borchardt konnte
an Hand der von ihm auf gefundenen altägyptischen Werkrisse nachweisen, daß Kon-
struktionsregeln, also „Maße“ oder „moduli“ bereits von den damaligen Baumeistern be-
nutzt wurden.339 Und wenn man die von Borchardt abgebildete Werkzeichnung einer
ägyptischen Säule mit der Austeilung der toscanischen Ordnung von Hans Blum ver-
gleicht, so stellt man in der eigentlichen Konstruktionsweise kaum einen Unterschied fest.
Wir können also mit Sicherheit sagen, daß all die geschilderten geometrischen Hilfs-
mittel der gotischen Baumeister weder von ihnen erfunden wurden noch etwa ihnen allein
vorbehalten blieben. Ihre Ursprünge sind uralt und verlieren sich in den Frühzeiten
menschlicher Bautätigkeit. Man darf sie daher keinesfalls mit irgendeiner Stilepoche in
unmittelbaren Zusammenhang bringen, sondern muß ihren inneren Kern vom mensch-
lichen Auffassungsvermögen her zu erklären suchen. Geistige Probleme sind ja viel leich-
ter zu verstehen, wenn sie nicht nur mit Hilfe des geschriebenen oder gesprochenen Wortes
dargestellt werden, sondern durch erläuternde Zeichnungen auch optisch faßbar sind. So
sagt man nicht mit Unrecht, „der Architekt muß mit dem Bleistift sprechen“. Was lag
daher für den primitiven Menschen näher, als technische oder rechnerische Grundprobleme
in die gesetzmäßigen Elementarfiguren der Geometrie einzupassen; denn diese waren ge-
rade wegen ihrer Gesetzmäßigkeit am leichtesten faßbar und auch am leichtesten nachzu-
bilden. Die Bestätigung - wenigstens für das Mittelalter - gibt uns Villard, der seine geo-
metrischen Figuren verwendet, „um leicht zeichnen zu können". Und bezeichnender-
weise verliert die Baugeometrie erst in der Zeit mehr und mehr an Gewicht, in welcher der
Rechenunterricht auch die mittleren und unteren Schichten der Bevölkerung erfaßt — also
im 16.Jahrhundert. Man möchte sagen: die geometrische Vorstellungswelt wird von der
arithmetischen abgelöst, ohne jedoch ganz von ihr verdrängt zu werden; denn es gibt auch
heute noch Gebiete der Baukunst, vor allem der Bautechnik, wo geometrische Arbeits-
weisen nach wie vor in Übung sind. So verwenden wir neben der rechnerischen Statik
ebenso statische Verfahren zeichnerischer Art. Aber auch hier geht die geometrische Lösung
der Probleme der rechnerischen voraus und wird analog der allgemeinen Entwicklung
immer mehr durch die genaueren rechnerischen Methoden gleichsam in Zahlen umgesetzt.
So wiederholt sich sozusagen im kleinen nochmals die große Umwandlung vom figürlichen
zum rechnerischen Denken. Beide zusammen bilden eine kontinuierliche Entwiddungs-
linie, deren Verlauf wir bis in die römische Antike, ja sogar bis zu den Ägyptern zurück-
verfolgen können.
Man mag sich die Frage vorlegen, wie all diese Kenntnisse der antiken Welt durch die
Völkerwanderungszeit hindurch in die Hände des Mittelalters gelangten. Befaßt man sich
zunächst mit den zehn Büchern Vitruvs, so stellt man ihre Spuren in der karolingischen
Zeit in dem bekannten Brief Einhards fest. Später führt Hugo von St. Viktor (1097-1141)
Vitruvs Werk an, ebenso Abt Theoderich von St. Trond um 1099 und nach ihm Petrus
von Montecassino (1107-1141).340 Wir finden wörtliche Zitate bei Vinzenz von Beauvais,
110