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Borchardt, Ludwig
Die aegyptische Pflanzensäule: ein Kapitel zur Geschichte des Pflanzenornaments — Berlin, 1897

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https://doi.org/10.11588/diglit.43137#0066
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Innere eines Hauses dem Aegypter ein Abbild der Welt. Der Fussboden stellte die
Erde dar, über ihm breitet sich der Himmel, die Decke, aus. Dieser Vorstellung
passt sich die ganze Decoration des Raumes an. Die Decke ist nur mit himmlischen
Dingen geschmückt: Sterne in regelmässiger Vertheilung, fliegende Vögel, Dar-
stellungen von Sternbildern und des Sonnenlaufs, ja selbst Sternverzeichnisse sind
dort angebracht. Im Gegensatz dazu erhält alles, was dem Boden nahe ist, pflanz-
liches Ornament, das meist noch so aufgefasst wird, als wüchse es aus dem Boden
heraus. Die Mauersockel sind mit langen Reihen von Papyrusstauden verziert, Büsche
von anderen Wasserpflanzen kommen daneben vor, die Basen der Säulen sind von
Blattwerk umgeben — Nein! nicht nur das, vielmehr sind die ganzen Säulen Pflanzen-
gebilde, die aus der Erde emporspriessen und frei in den Himmel hineinragen.
Eine merkwürdige, phantastische Auffassung, auf der wir da die sonst so pro-
saischen Aegypter ertappen. Und dass hier nicht etwa blos eine vom Kunsthistoriker
den schaffenden Künstlern untergelegte Anschauung zu Tage tritt, das lässt sich zum
Ueberfluss noch haarscharf beweisen. Ein glücklicher Zufall hat uns nämlich „die breite
und die tiefe Halle“, gewissermaassen das Speise- und Empfangszimmer des Palastes
Amenophis’IV. in Teil el Amarna vollständig erhalten. Dies „vollständig“ ist nicht
zu viel gesagt; wir haben nämlich die Grundrissmauern mit den prachtvoll erhaltenen
Estrichen'), zur Reconstruction völlig ausreichende Fragmente der Säulen s) und last
not least mehrere alte untereinander übereinstimmende Abbildungen dieser Säle* 2 3). Die
Estriche sind herrlich bemalt, in der Mitte sind Teiche mit allerlei Fischen und Wasser-
vögeln ; umgeben sind dieselben von Rohr-, Papyrus- und Schilf-Dickicht, in welchem
wieder verschiedene Thiere sich tummeln, des Weiteren folgen ornamentale Gefässdar-
stellungen und, da der Estrich in einem Königspalast liegt, im Mittelgang die Figuren
von Gefangenen, die gefesselt am Boden liegen und über die der König hinweg-
schreiten soll. Alles deutet also darauf hin, dass der Fussboden wirklich als Erde
aufgefasst ist. Die Säulen, welche in der Mitte der Säle in Reihen standen, stellen
Pflanzen und zwar Palmenstämme und Schilfbüschel dar, die um die Teiche des
Estrichs herum stehen. Wie die Decke darüber aussah, auch das hat uns ein ägyp-
tischer Maler in seiner kindlichen Manier überliefert (Abb. 84). Als er jene Darstellung
des Palastes, den er, nach allen Details zu urtheilen, genau kannte, entwarf, da wollte
er auch den gemalten Himmel an der Decke der Säle wiedergeben. Er wusste, dass
dieser Himmel, wenn er, im Saale stehend, ihn betrachtete, stellenweise durch die
oberen Theile der Palmensäulen verdeckt wurde. Das richtig darzustellen überstieg
aber seine perspectivischen Kenntnisse. Er malte daher ganz dumm seinen Himmel
und zwar die Hieroglyphe r=q für Himmel — hinter die obersten Theile der Säule,
dicht unter die Deckenlinie.4) Darunter stellte er dann noch die an die Decke
gemalte strahlende Sonne dar. Sehr schön ist ja diese zeichnerische Leistung nicht,
aber wir sehen doch wenigstens daraus, wie die Decke in jenem Saale decorirt war.

]) Petrie, Teil el Amarna, Taf. 3 — 5 u. 37; S. 2 11. 3.
2) A. a. O., Taf. VII.
3) L. D. III, 96b, 99a, 103, 106a u. 109.
4) Aehnliches kommt öfters bei Abbildungen von Baldachinen u. s. w. vor.
 
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