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Bossert, Helmuth Theodor [Hrsg.]
Alt Kreta: Kunst und Kunstgewerbe im ägäischen Kulturkreise — Berlin, 1921

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https://doi.org/10.11588/diglit.9883#0022
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Stiles erblicken, der tausend Jahre zuvor seinen Kulminationspunkt erreicht
hatte. In dem Wort „Renaissance" liegt für uns zu sehr der Begriff des be-
wußten Zurückgreifens auf eine ältere und als hochwertiger empfundene Kultur.
Davon kann weder in der archaischen noch in der darauffolgenden Zeit der
Antike die Rede sein, wenn auch in den homerischen Epen wie in gewissen
damals zutage tretenden Überresten jener vergangenen Völker ein Nachhall
aus einer großen Vorzeit verklingt.

Wenn anders wir jedoch den ganzen Umfang der Probleme erfassen wollen,
wird nichts anderes übrig bleiben, als die Kunst der eigentlichen Antike auch
unter dem Gesichtspunkt der „Nachblüte" zu betrachten. Auf einen fast ver-
dorrten Baum wird neues Reis gepropft und dieses blüht Es ist erste Blüte
des jungen Reises und doch die zweite eines alten Baumes!

VI.

Kunst und Religion. Ein Schlagwort unserer Zeit, dem der Inhalt fehlt.
Und doch zugleich ein verzweifelter Ruf von vielen, die des Individualismus
müde sich nach einer allumfassenden religiösen Idee sehnen, von der sie
auch die Wiedergeburt der Kunst erwarten. Wir hoffen und sind müde: noch
fehlt die Tat wie der Glaube, der sie hervorbringen könnte.

Die vergangenen Kulturen sind uns darin überlegen. Das ist der Grund,
weshalb wir ihre Reste immer und immer wieder aufsuchen und ihnen Leben
einzuhauchen trachten, damit sie von ihrer Zeit erzählen. Ihre Überlegenheit
beruht auf der einheitlichen religiösen Anschauung und Glaubenskraft ihrer
Kulturträger.

Wir kennen die kretisch-mykenische Religion nicht. Noch schweigen
die Inschriften, die sicher Wertvolles darüber zu sagen haben. Was wir Uber
religiöse Gebräuche zu wissen glauben, entnehmen wir den Kunstdenkmälern.
Vielleicht legen wir vieles in sie hinein, was sie gar nicht ausdrücken sollten.
Hüten wir uns daher vor allzu eingehenden Erklärungsversuchen! Genügt
doch das Wenige, was sich mitSicherheit sagen läßt, um von der Art der
Gottheiten und ihrer Verehrung eine Vorstellung zu gewinnen.

Im Wesentlichen sind es Naturkräfte und Naturerscheinungen, die, mehr
oder weniger personifiziert, Anbetung finden. Sonne, Mond und Sterne, die
im Leben eines seefahrenden Inselvolkes eine besonders wichtige Rolle spielen,
zeugende und vernichtende Naturgewalten, mütterliche Gottheiten, Gottheiten
des Gewitters und der Jagd. Dann aber auch aus einer primitiveren Vor-
stellungswelt, die noch aus der Zeit ruheloser Wendungen herrühren mag,
Verehrung von Tieren, Bäumen und dämonischen Mischwesen, die halb Tier,
halb Mensch oder halb Vierfüßler, halb Vogel Ausgeburten einer Uberaus regen
Phantasie darstellen.

Hinzu treten Jenseitsvorstellungen, die sich in einer sorgfältigen Bestattung
und in besonderen Totenkulten äußern.
 
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