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Braun, Joseph
Der christliche Altar in seiner geschichtlichen Entwicklung (Band 2): Die Ausstattung des Altars, Antependien, Velen, Leuchterbank, Stufen, Ciborium und Baldachin, Retabel, Reliquien- und Sakramentsaltar, Altarschranken — München, 1924

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https://doi.org/10.11588/diglit.2049#0305
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Drittes Kapitel. Material des Retabels 289

gegenüber den Riesenarchitekturen, die hinter dem Altar sich machtvoll

emporrecken und alle Aufmerksamkeit für sich in Anspruch nehmen.

Als die christliche Kunst in Deutschland nach der Mitte des 19. Jahrhunderts
ihre Wiedererstehimg feierte, kehrte man deshalb mit Recht dort bei neuen Altar-
und Retabelbauten zu der Gepflogenheit zurück, weiche das deutsche Mittelalter
selbst bei seinen größten Retabeln zu beobachten pflegte, indem man den Altar-
aufsatz wieder auf die Mensa selbst setzte. Einer übermäßigen, den Aliar und den
an ihm tätigen Liturgen erdrückenden Entwicklung und Wirkung des Retabels war
damit von seihst vorgebeugt. Freilich kommt es zuletzt wenig darauf an, ob das
Retabel auf der Mensa selbst oder auf einem besonderen Unterbau ruht, wofern es
nur die ihm durch die Bedeutung des Altares vorgezeichneten bescheidenen Maß-
verhällnisse innehält.

DRITTES KAPITEL

MATERIAL DES RETABELS

I. METALLRETABELN

Wie das Mittelalter viele kostbare Altarfrontalien aus Gold, Silber oder
vergoldetem Kupfer schuf, so brachte es auch manche Retabeln aus dem
gleichen Material hervor, wenn auch ihre Zahl wohl nicht so groß war wie
die der Metallfrontalien, die es entstehen ließ. Die Retabeln des 11. Jahr-
hunderts, von denen wir Kunde haben, gehören alle zu ihnen. Leider erhalten
wir über die meisten keinerlei nähere Aufschlösse.

Von den drei Retabeln, welche Wibald von Stablo anfertigen ließ, bildete eines
die Ausstattung des Hochaltares der Abteikirche, Es war aus Gold gemacht und
zeigte Darstellungen aus der Passion und der Verherrlichung des Erlösers sowie
die Bilder Wibalds und der Kaiserin Irene, der Gemahlin Manuels I., die es gestiftet
hatte. Im Jahre 1628 einer Erneuerung unterzogen, wurde es 1792 heim Heran-
nahen der Franzosen geflüchtet, zwei Jahre später aber eingeschmolzen, um dem
Abt und den Mönchen in ihrem Exil Unterhalt zu bieten1.

Das zweite Retabel errichtete Wibald auf dem Altar des hl. Remaklus. Es
bestand aus Silber. In der Mitte zeigte es eine tabernakelartige Nische, die den
Schrein des Heiligen enthielt, rechts und links je vier quadratische Felder, die in
zwei Reihen geordnet waren und Szenen aus dem Leben des Altarpatrones auf-
wiesen (Tafel 198). Über dem Sims, der die obere Reihe nach oben zu begrenzte, stieg
in der ganzen Breite der Tafel ein Rundbogen auf. Er war rings mit einem Blattfries
geziert, der beiderseits von einer Inschrift begleitet war. Die obere verewigte
Wibald als den Stifter des Retabels und drohte den Bann allen an, welche dasselbe
zerstören würden, die untere bildete ein Verzeichnis der Liegenschaften der Abtei.
In dem von dem Bogen umschlossenen Feld war oberhalb des Tabernakels Christus,
umgeben von den allegorischen Figuren der Kardinal tu gen den und den Symbolen
der Evangelisten, dargestellt; seine seitlichen Flächen waren durch eine Leiste in
zwei Zonen geteilt, von denen die obere beiderseits anbetende Engel, die untere
links den Baum der Erkenntnis zwischen Henoch und Elias, rechts den Baum des
Lebens zwischen einem Cherub und dem h!. Remaklus zeigte. Außerdem waren in den
beiden unteren Reihen die Paradiesesströme abgebildet. Das Retabel, ein großartiges
Werk, war 1661 noch an Ort und Stelle, wie eine damals angefertigte und noch er-

1 Jules Ilclbig, La sculpture et les arts pla- 18. Jahrhunderts in Marlene et Durand, Voyage
stiquos au pays de Liege (Bruges 1890) 56 f.; litteraire de deux Benedictes II (Paris 1724)
eine kurze Beschreibung aus dem Beginn des 151 L
 
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