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Braun, Joseph
Der christliche Altar in seiner geschichtlichen Entwicklung (Band 2): Die Ausstattung des Altars, Antependien, Velen, Leuchterbank, Stufen, Ciborium und Baldachin, Retabel, Reliquien- und Sakramentsaltar, Altarschranken — München, 1924

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https://doi.org/10.11588/diglit.2049#0334
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318 Fünfter Abschnitt. Das Retabel

Durch Retabeln aus Holz ließ sich dieselbe sowohl leichter und schneller als

auch mit geringeren Kosten verwirklichen.

Der Barock, welcher in Spanien um die Mitte des 17. Jahrhunderts in den

Retabelbau eindrang, aus ihm eine Ädikula machte und seinen reichen Bildschmuck
zugunsten kolossal wirkender Architekturen verbannte, führte bezüglich des Materials
der Retabel zu keiner tiefer greifenden Änderung. Im Gegenteil konnte für die mit
wildem Ornament über und über beladcnen Riesen retabeln, wie sie der Churrigueris-

mus allerorten schuf, ein anderes Material als Holz noch viel weniger in Frage
kommen, als für die in ruhiger Staffelung sich aufbauenden, mit Reliefs und Statuen
gefüllten Retabeln der Renaissance. Bemerkenswert und bezeichnend für die in
Spanien noch immer herrschende Vorliebe für geschnitzte Darstellungen ist, daß
bei den churrigueresken Retabeln vorzugsweise in Schnitzerei hergestelltes Figuren-
werk, nicht ein Gemälde als Altarbild verwendet wurde, wiewohl es im Lande
keineswegs an Malern fehlte. Marmorretabeln kommen in Spanien erst mit dem
Abflauen des Churriguerismus und der Rückkehr zu den ruhigeren Formen des
klassizistischen Barocks mehr und mehr zu Ehren.

In Frankreich blieben auch im 16. Jahrhundert Retabeln aus Stein nach
Ausweis der vielen noch vorhandenen Beispiele nach wie vor ebenso zahlreich wie
die Holzretabeln. Der bildliche Schmuck bestand bei beiden Arten wie in der Periode
der ausgehenden Gotik vornehmlich in plastischen Darstellungen, Reliefs und Sta-
tuetten. Ein reich mit Bildwerk ausgestattetes Retabel aus bemaltem Gipsstuck, ein
großartiges Werk, besitzt die Kathedrale zu Rodez. Marmor, zumal farbiger, wurde
erst im 17. Jahrhundert häufiger zur Herstellung des Retabels verwendet, nachdem
dasselbe die einheimisch überlieferte Form verlassen und den von Italien kommenden
Typus übernommen hatte. In der Zeit des Spätbarocks wurde statt Naturmarmor
nicht selten Stuckmarmor benutzt. Das gewöhnlichste Material für das Retabel war
jedoch in Frankreich in der ganzen Zeit der Herrschaft des Barocks Holz. Das
Altarbild der barocken französischen Retabeln bestand, wie es scheint, am gewöhn-
lichsten in einer plastischen Darstellung aus Holz oder Stein, minder häufig in einem
Ölgemälde.

VIERTES KAPITEL

FORMALE UND STILISTISCHE AUSGESTALTUNG
DES RETABELS

Die Form des Retabels war nicht zu allen Zeiten die gleiche. Es besteht
ein sehr großer Unterschied zwischen der schlichten Bildertafel des 11. bis
13. Jahrhunderts, den architektonisch reich entwickelten, hochaufstrebenden
Altaraufbauten und den Flu gel retabeln der späten Gotik und den bald
strenger, bald freier behandelten Ädikularetabeln der Renaissance und des
Barocks. Eines war freilich stets für das Retabel wesentlich, daß es näm
lieh Bildwerke enthielt. Die Anordnung desselben konnte jedoch auf mannig-
fache Weise erfolgen, und so ergab sich ganz von selbst eine Verschieden-
heit der formalen Beschaffenheit des Retabels.

Es waren manche Momente, die in den einzelnen Fällen für seine Form be-
stimmend waren, vor allem natürlich die Erfindungsgabe des Künstlers, dann die Art
des gewünschten Bildwerkes, der Charakter des Materials, das zum Retabel ver-
wendet werden sollte; Vorbilder, die für die Gesamtanlage, für die Einzelgliederung
oder für beides mehr oder weniger zum Muster genommen wurden; die Weise, wie
man Retabel und Altar miteinander zu verbinden beabsichtigte, ganz besonders aber
 
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