Varietäten der Wirbelsäule. 123
imd haben auf die Gesamtzahl der Wirbel keinen Einfluß. Diese Atypie der
einzelnen Abschnitte der Wirbelsäule ist eine Erscheinung für sich und von
besonderer theoretischer und praktischer Bedeutung.
Beim menschlichen Embryo sind 40 Ursegmente gezählt worden (Abb. 8. 151).
Dies ist nicht die Höchstzahl, da die vordersten in der Reihe sich umbilden und
verschwinden (3), ehe die hintersten sichtbar werden. Würden alle Ursegmente
Wirbel produzieren, so wäre die Gesamtzahl der Wirbel beträchtlicher als die ge-
wöhnliche Zahl (33).
Der wesentliche Ausfall beruht darauf, daß der menschliche Embryo zwar Varietäten
einen Schwanz besitzt (Abb. 8, 242), aber diesen verliert, ehe sich Wirbel gebildet der
haben. Geschwänzte Menschen mit Schwanzwirbeln gibt es nicht. Bei Embryonen, Wi?belsäuie
die größer als 12 mm sind, ist der äußerlich sichtbare Schwanz bis auf einen dünnen
Faden geschwunden, der später auch abgestoßen und nur in sehr seltenen Ausnahmen
als Anhang ins postfötale Leben herübergenommen wird (,,weiche" Schwänze).
Gewöhnlich gehen die sechs letzten Ursegmente mit dem Schwanzfaden verloren; die
vorderen werden in den Körper aufgenommen und in das Niveau der Haut einbezogen:
Kokzygealwirbel. Da die Zahl der Segmente schwankt, so ist auch die Zahl der
Kokzygealwirbel schwankend und ihre Ausbildung manchem Wechsel unterworfen.
Theoretisch sind die Verhältnisse beson-
ders interessant, weil die definitive Zahl durch
Variabilität im individuellen Leben ent-
schieden wird. Denn es bilden sich immer
mehr Ursegmente als später Wirbel existieren,
deren Zahl von dem Maß der Rückbildung
der Schwanzsegmente in dem betreffenden
Individuum abhängt. Wird der Schwanz bei
dem Embryo in atavistischer Weise weniger
rückgebildet als in der Norm, so entstehen
die höheren Zahlen, wird er in progressiver
WTeise stärker abgebaut, so resultieren niedere
Zahlen von Kokzygealwirbeln. Es ist frag-
lich, ob eine mikroskopisch erkennbare Wirbel-
anlage wieder verschwindet. Aber der Wechsel
in der Zahl ist potentia durch das Mehr oder
Weniger der Ursegmente bestimmt. Dies
ist für die später zu erwähnenden Fälle Abb. 75. Assimilation des Atlas. Rechts
Wichtig, bei welchen es den Anschein hat, als ist das For. transv. nicht geschlossen, links
ob in der ontogenetischen Entwicklung keine wohl. Der linke hintere Bogen des Atlas
Veränderungen möglich wären, sondern alle lst in tÄÄSa: ™
Varietäten von vornherein bestimmt seien.
Da die Wirbel erst relativ spät angelegt wer-
den, dürfte zu dieser Zeit meistens das definitive Stadium erreicht sein; sehr wohl
kann aber das Bildungsmaterial der Wirbel, das sehr früh determiniert ist, vorher
Veränderungen erlitten haben, die mikroskopisch nicht zu erkennen sind.
Die vordersten Ursegmente (3) der Gesamtreihe bilden Skelettmaterial, welches Ässimila-
sich nicht zu freien Wirbeln formt, sondern in das Os occipitale des Schädels ein- ^™ine\
bezogen wird (siehe Kapitel Kopf). Der 1. Halswirbel der menschlichen Anatomie * Schädel611
ist stammesgeschichtlich erst der 4. der Gesamtreihe. Bei vielen niederen Wirbel- (fragliche
tieren ist jetzt noch dieser Zustand erhalten, bei anderen (Störarten) wird eine viel ^f^^g"
größere Anzahl von Wirbeln in den Schädel einbezogen. Bei den Reptilien, Vögeln Atlas)
und Säugetieren ist die Zahl der inkorporierten Segmente konstant (3). Die
Einbeziehung erfolgt in der individuellen Entwicklung, ehe ein knöcherner Wirbel
geformt ist, betrifft also das Material, nicht die Wirbel als morphologische Gebilde.
Ein Teil des Materials wird dabei wahrscheinlich dem Zahn des Epistropheus zu-
geschlagen (S. 118). Es kommen beim Menschen Fälle vor, in welchen im Okzipitale
des Erwachsenen deutlich Konturen oder Formbestandteile eines Atlas unterschieden
werden können. Am auffallendsten sind Schädel mit darin steckendem vollständigem,
wie angeklebtem Atlas (Abb. 75). Die Zahl der Halswirbel ist dabei meist verringert.
Wäre der Atlas der Norm dem Schädel einverleibt, „assimiliert", so daß vier Wirbel
im Okzipitale stecken statt drei, so wäre die Verringerung der Halswirbelzahl ohne
weiteres verständlich. In der Tat ist Assimilation des Atlas auch aus anderen
Gründen die wahrscheinlichste Erklärung für die geschilderten Varietäten: sie sind
progressive Varianten. Ein zuverlässiger Maßstab ist allerdings die Verringerung
der Halswirbelzahl nicht, weil die Grenze aus anderen Gründen schwanken kann
(Halsrippen, siehe unten). Es werden deshalb manche Fälle nicht als Assimilation
imd haben auf die Gesamtzahl der Wirbel keinen Einfluß. Diese Atypie der
einzelnen Abschnitte der Wirbelsäule ist eine Erscheinung für sich und von
besonderer theoretischer und praktischer Bedeutung.
Beim menschlichen Embryo sind 40 Ursegmente gezählt worden (Abb. 8. 151).
Dies ist nicht die Höchstzahl, da die vordersten in der Reihe sich umbilden und
verschwinden (3), ehe die hintersten sichtbar werden. Würden alle Ursegmente
Wirbel produzieren, so wäre die Gesamtzahl der Wirbel beträchtlicher als die ge-
wöhnliche Zahl (33).
Der wesentliche Ausfall beruht darauf, daß der menschliche Embryo zwar Varietäten
einen Schwanz besitzt (Abb. 8, 242), aber diesen verliert, ehe sich Wirbel gebildet der
haben. Geschwänzte Menschen mit Schwanzwirbeln gibt es nicht. Bei Embryonen, Wi?belsäuie
die größer als 12 mm sind, ist der äußerlich sichtbare Schwanz bis auf einen dünnen
Faden geschwunden, der später auch abgestoßen und nur in sehr seltenen Ausnahmen
als Anhang ins postfötale Leben herübergenommen wird (,,weiche" Schwänze).
Gewöhnlich gehen die sechs letzten Ursegmente mit dem Schwanzfaden verloren; die
vorderen werden in den Körper aufgenommen und in das Niveau der Haut einbezogen:
Kokzygealwirbel. Da die Zahl der Segmente schwankt, so ist auch die Zahl der
Kokzygealwirbel schwankend und ihre Ausbildung manchem Wechsel unterworfen.
Theoretisch sind die Verhältnisse beson-
ders interessant, weil die definitive Zahl durch
Variabilität im individuellen Leben ent-
schieden wird. Denn es bilden sich immer
mehr Ursegmente als später Wirbel existieren,
deren Zahl von dem Maß der Rückbildung
der Schwanzsegmente in dem betreffenden
Individuum abhängt. Wird der Schwanz bei
dem Embryo in atavistischer Weise weniger
rückgebildet als in der Norm, so entstehen
die höheren Zahlen, wird er in progressiver
WTeise stärker abgebaut, so resultieren niedere
Zahlen von Kokzygealwirbeln. Es ist frag-
lich, ob eine mikroskopisch erkennbare Wirbel-
anlage wieder verschwindet. Aber der Wechsel
in der Zahl ist potentia durch das Mehr oder
Weniger der Ursegmente bestimmt. Dies
ist für die später zu erwähnenden Fälle Abb. 75. Assimilation des Atlas. Rechts
Wichtig, bei welchen es den Anschein hat, als ist das For. transv. nicht geschlossen, links
ob in der ontogenetischen Entwicklung keine wohl. Der linke hintere Bogen des Atlas
Veränderungen möglich wären, sondern alle lst in tÄÄSa: ™
Varietäten von vornherein bestimmt seien.
Da die Wirbel erst relativ spät angelegt wer-
den, dürfte zu dieser Zeit meistens das definitive Stadium erreicht sein; sehr wohl
kann aber das Bildungsmaterial der Wirbel, das sehr früh determiniert ist, vorher
Veränderungen erlitten haben, die mikroskopisch nicht zu erkennen sind.
Die vordersten Ursegmente (3) der Gesamtreihe bilden Skelettmaterial, welches Ässimila-
sich nicht zu freien Wirbeln formt, sondern in das Os occipitale des Schädels ein- ^™ine\
bezogen wird (siehe Kapitel Kopf). Der 1. Halswirbel der menschlichen Anatomie * Schädel611
ist stammesgeschichtlich erst der 4. der Gesamtreihe. Bei vielen niederen Wirbel- (fragliche
tieren ist jetzt noch dieser Zustand erhalten, bei anderen (Störarten) wird eine viel ^f^^g"
größere Anzahl von Wirbeln in den Schädel einbezogen. Bei den Reptilien, Vögeln Atlas)
und Säugetieren ist die Zahl der inkorporierten Segmente konstant (3). Die
Einbeziehung erfolgt in der individuellen Entwicklung, ehe ein knöcherner Wirbel
geformt ist, betrifft also das Material, nicht die Wirbel als morphologische Gebilde.
Ein Teil des Materials wird dabei wahrscheinlich dem Zahn des Epistropheus zu-
geschlagen (S. 118). Es kommen beim Menschen Fälle vor, in welchen im Okzipitale
des Erwachsenen deutlich Konturen oder Formbestandteile eines Atlas unterschieden
werden können. Am auffallendsten sind Schädel mit darin steckendem vollständigem,
wie angeklebtem Atlas (Abb. 75). Die Zahl der Halswirbel ist dabei meist verringert.
Wäre der Atlas der Norm dem Schädel einverleibt, „assimiliert", so daß vier Wirbel
im Okzipitale stecken statt drei, so wäre die Verringerung der Halswirbelzahl ohne
weiteres verständlich. In der Tat ist Assimilation des Atlas auch aus anderen
Gründen die wahrscheinlichste Erklärung für die geschilderten Varietäten: sie sind
progressive Varianten. Ein zuverlässiger Maßstab ist allerdings die Verringerung
der Halswirbelzahl nicht, weil die Grenze aus anderen Gründen schwanken kann
(Halsrippen, siehe unten). Es werden deshalb manche Fälle nicht als Assimilation