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Braus, Hermann
Anatomie des Menschen: ein Lehrbuch für Studierende und Ärzte (Band 1): Bewegungsapparat — Berlin, Heidelberg, 1921

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https://doi.org/10.11588/diglit.15149#0304
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Der Brustschulterapparat als Ganzes in der Bewegung.

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unteren Winkel des Schulterblattes verläuft, dreht das Schulterblatt im akro-
mialen Schlüsselbeingelenk so, daß sich die Gelenkpfanne für den Humerus
uach oben richtet (Abb. 141). Derselbe Muskel erzielt eine weitere Verschiebung
der Gelenkpfanne im gleichen Sinne durch Rotation des Schlüsselbeines um
die eigene Achse in seinem sternalen Gelenk. Je mehr aber die Gelenkpfanne
sich nach oben richtet, um so mehr wird der im Schultergelenk durch den Del-
toides versteifte Arm in die Höhe gehebelt. Das Schultergelenk ist aktiv ganz
unbeteiligt. Der Humerus zeigt wie ein Zeighebel die Größe der Drehung des
Schultergürtels an.

Die Bewegung in beiden Schlüsselbeingelenken zusammen beträgt, am
ausgestreckten Arm gemessen, 30° d. h. mit den scheinbar vom Deltoides allein er-
zielten 112° zusammengerechnet 142°. Auf diese Weise ist der Arm um 52° über
die Horizontale eleviert. Davon kommen im allgemeinen 2/3 der Leistung auf das
akromiale und 1/3 auf das sternale Schlüsselbeingelenk. Doch wird beim Empor-
heben aus reiner Abduktion das Schlüsselbein am frühesten und stärksten auf-
gerichtet. Es bleibt dagegen anfangs horizontal stehen, wenn die Elevation aus der
reinen Vorwärtshebung oder aus einer Zwischenstellüng zwischen Anteversion
und Abduktion vorgenommen wird. Nur zum Schluß tritt auch dann das sternale
Gelenk in Tätigkeit.

Eine vertikale Elevation ist im Schulterapparat überhaupt nicht mög-
lich (außer bei abnorm dehnbarem Schultergelenk): über die maximale Elevation
von 52° hinaus kann der Arm jedoch durch die Wirbelsäule gehebelt werden,
sobald sie nach der anderen Körperseite geneigt wird. Dadurch läßt sich jeder-
zeit der Winkel von 52° bis auf 90° (vertikale Elevation) leicht steigern und auch
ein Minusausschlag des Armes nach der anderen Körperseite hinüber erreichen.

Voraussetzung für die maximale Ausnutzbarkeit beider Schlüsselbeingelenke
bei der Elevation ist ein intakter Trapezius. Denn nur dann können die Klavikula
und der obere innere Winkel der Skapula so weit nach hinten gebracht werden, daß
der Serratus anterior eine günstige Ausgangsstellung und genügenden Spielraum
hat, um das Schulterblatt ausgiebig zu drehen und mit ihm die Gelenkpfanne für den
Humerus richtig nach oben zu stellen. — Der Trapezius unterstützt mit seinem unteren
Teil (Trapezius-Levatorschlinge, Abb. 146, I, rot) die Wirkung des Serratus, weil
er die Skapula im gleichen Sinne dreht, so daß die Gelenkpfanne nach oben gerichtet
wird und der im Schultergelenk versteifte Arm eleviert werden kann. Bei Serratus-
lähmung kann dieser Mechanismus vikariierend eintreten, aber nie einen vollen
Ersatz bieten. Man erkennt den Ausfall des Serratus sofort daran, daß der An-
gulus inferior nicht mehr nach vorn bewegt werden kann. Denn der
Ersatz durch den Trapezius dreht die Skapula in anderer Weise, nämlich durch
Fixierung ihres Angulus inferior an Ort und Stelle. Dieser Unterschied ist durch
die Haut leicht festzustellen. Durch den Trapezius läßt sich der Arm nur um 15°
heben, also nur halb so hoch wie durch den Serratus. Selbst diese Arbeit kommt
bei Serratuslähmung nicht zur äußeren Geltung, weil sie vollkommen verbraucht
wird, um das Ausgleiten des Schulterblattes nach hinten auszugleichen, welches
sonst bei Kontraktion des Deltoides eintreten müßte. So ist die gewöhnlich nicht
erreichte Höchstleistung bei Serratuslähmung eine Elevation bis 115° aus dem senk-
rechten Hang, also das, was der Deltoides unter richtiger Vorbereitung allein leistet.
Höhere Erhebungen bei solchen Patienten können wohl durch ausgiebige Mitbe-
nutzung des Rumpfes, aber nicht im Brustschulterapparat zustande kommen.

Sehr zweckmäßig ist es, beim Lebenden auf die Vertebra prominens mit
Heftpflaster eine kleine Schachtel als Unterlage aufzukleben, welche hoch genug
ist, daß ein an ihr befestigtes Lot frei bis zum Boden herabhängt. Man sieht bei
anfangs gerader Körperhaltung an der Verschiebung des Lotes sofort, wann die
seitliche Rumpfbeuge einsetzt, um den Arm höher zu elevieren, als es der Brust-
schulterapparat kann. — Dreht man bei Serratus- und Trapeziuslähmungen die
Schulter des Patienten künstlich mit den Händen oder mit einem geeigneten
Apparat, so kann der Arm aus dem Hang wie in der Norm eleviert werden, weil
dann bloß das Schultergelenk mit seinen intakten Muskeln zu arbeiten braucht.

Die Rotation (Kreiselung) des Armes vollzieht sich um eine Achse, ^8k^e'
welche durch den Humeruskopf und den Griffelfortsatz der Ulna verläuft, Rotation
d. h. um die gleiche Achse, um welche am Unterarm der Pronation und Supi- des Arme
nation gedient wird (Abb. 149 a, b). Man kann infolgedessen die Rotation nach
innen beim gestreckten Arm zur Hyperpronation (Abb. 149c) und die nach
 
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