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Brugsch, Heinrich
Reise nach der grossen Oase El Khargeh in der libyschen Wüste: Beschreibung ihrer Denkmäler — Leipzig, 1878

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https://doi.org/10.11588/diglit.3991#0013
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willigen gebräunten Söhne der Wüste. Aber die Zelttücher schützen nur den fremden
Reisenden vor der bitteren Kälte der Nacht, wenn auch der eisige Hauch des Nordwindes
unter den offenen Waudstücken des leinenen Hauses seinen Weg zu unserem Lager findet
und unser Gebein mit winterlichem Froste durchschüttelt. Die Kinder der Berge, eingehüllt
in ein härenes Manteltuch (Burnus), hocken bei ihren Kameelen, um die frostigen Glieder zu
wärmen an der lodernden Flamme des Feuers, aus Dornenkraut und Thiermist augefacht und
unterhalten. Trocknes steinhartes Brot und ein Trunk trüben Nilwassers aus dem ledernen
Schlauche ist ihre einzige Labung nach der ermüdenden Reise des Tages.

Armes Volk das! Oder sind die Söhne der Wüste dennoch glücklicher als wir verwöhnte
und verzärtelte Kinder Europa's mit all' unseren Bedürfnissen und unbefriedigten Wünschen?
Fast muss es so scheinen, denn nach dem langen ermüdenden Marsche, bald zu Fuss, bald
zu Kameel, sitzen sie nach eingenommenem Imbiss fröhlich und lachend da im Kreise, ihre
Waffen zu ihren Füssen, rauchen in kurzen messingbeschlagenen Pfeifen den schlechtesten
Tabak der Welt und ergötzen sich an heiteren Gesprächen aus ihrem einfachen Leben. Ein
Festabend ist ihnen die Aussicht auf die Ueberbleibsel unseres eigenen bescheidenen Mahles.

Die Beni-Wassel, zu welchem Stamme sie gehören, wie alle in der Wüste zu beiden
Seiten des Niles wohnenden Arab d. h. Beduinen, sind von mittler Körpergrösse und von
magerem, aber zähem und sehnigem Gliederbau. Füsse und Hände sind klein, äusserst wohl-
geformt und würden einer Dame zur höchsten Zierde gereichen. Ihr Gesicht ist mehr rund
als oval, der Mund zeigt massig aufgeworfene Lippen, hinter denen die schönsten und
weissesten Zähne den Neid in den europäischen Salons erregen dürften. Ihre Nase ist wohl
geformt, nur leicht gebogen, und aus den schwarzen Augen blitzt es oft wie unheimliches
Feuer. Das meist geschorene glatte Haupthaar und der schwach entwickelte Bart sind von
leuchtender Schwärze. Ihre Hautfarbe ist das dunkelste Braun. Ein kurzer Rock, darüber ein
dunkelbrauner Mantel aus Kameelliaar, ein rother Tarbusch als Kopfbedeckung und Leder-
saudalen einfachster Art bilden das Costüm der Arab der Wüste. Lange Flinten mit Feuer-
schloss, Säbel, Messer, Dolche und eine unglaubliche Zahl kleiner betroddelter lederner Taschen
für Pulver und Blei dienen als Rüstzeug. Nach der Gewohnheit der nubischen ßarabra wird
das Messer in dolchartiger Form häufig am linken Oberarm getragen. In Lederetui's ein-
genähte Amulette, Papierzettel mit Sprüchen aus dem Qorän beschrieben, fehlen nicht als
Angebinde im wörtlichsten Sinne des Ausdruckes. Auch den Lieblingskameelen werden der-
artige Talismane zum Schutze gegen den bösen Blick und sonstige Gefahr des Leibes und
Lebens um den Hals gebunden.

Zu den besonders klugen und muthigen Menschenkindern gehören die Arab sicherlich
nicht. Wenngleich ihr Gesichtskreis ein sehr beschränkter ist, vielleicht aber grade deshalb,
sind ihre Sinne geschärft für alles, was das Leben und den Aufenthalt in der Wüste betrifft.
Ihr Auge und Ohr ist von einer unglaublichen Feinheit, da es vorzüglich die Sinne des
Sehens und Hörens sind, die ihnen als die treuesten Wächter in der Wüste zur Seite stehen.
Ihre Verstandesthätigkeit richtet sich nur auf die zunächst liegenden Gegenstände ihres ein-
seitigen Lebens. Nahrung und Kameel stehen dabei oben an. Wie die Mehrzahl der Araber
und Aegypter wissen sie ihr Alter nur ungefähr und iu runder Zahl anzugeben, gewöhnlich
mit dem entschuldigenden Zusatz: „Das weiss Gott am besten". Ein weissbärtiger, ehrwürdiger
Greis, eine wandelnde Mumie, welcher die ganze lange Keise meist zu Fuss zurücklegte und
als Kameelführer seine guten Dienste leistete, nannte sich selbst „einen Sohn der Siebenzig"
d. h. einen siebenzigjährigen Mann. Er hatte sicherlich nicht gelogen, denn man sah ihm
ein so hohes Alter sofort an, obgleich er in der Thätigkeit auf dem ganzen Marsche und im
 
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