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Brunn, Heinrich; Brunn, Heinrich [Hrsg.]; Brunn, Hermann [Hrsg.]
Heinrich Brunn's kleine Schriften (Band 2): Zur griechischen Kunstgeschichte — Leipzig: Teubner, 1905

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https://doi.org/10.11588/diglit.45326#0470

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458 Über die kunstgeschichtliche Stellung der pergamenischen Gigantomachie.
sich allerdings nicht streng wörtlich, aber dem Charakter nach, immerhin
noch ziemlich abgeschwächt im Deutschen etwa so wiedergeben ließe. He-
rodot sagt: „Kroisos war von Geschlecht ein Lyder, Sohn des Alyattes,
Herrscher der Völker diesseits des Halys, welcher von Süden zwischen
Syrien und Paphiagonien hindurchfließt und gegen Norden in den sogenannten
Pontus Euxinus mündet.“ Hegesias dagegen würde sagen: „Des Alyattes
Sohn war Kroisos, ein Lyder von Geschlecht, der diesseits des Halys woh-
nenden Völker’ Herrscher,' welcher fließend von Süden zwischen Syrien und
Paphiagonien hindurch mündet gen Norden in den Euxeinos zubenannten
Pontos.“ Die natürliche Einfachheit ist hier durch die Umstellung der
Worte vollständig verschwunden, der rhythmische Fluß unterbrochen und
durch Gegensätze gehemmt und die Einheit der Perioden in Teile zer-
schnitten. Es würde zu weit führen, hier noch im einzelnen nachzuweisen,
wie schon die pergamenische Kunst in attalischer Zeit sich hinsichtlich des
Rhythmus der Gestalten in gleicher Richtung bewegt, wie sehr sie bereits
bestrebt ist, durch Kontraste zu wirken. Noch größer aber ist gewiß die
innere Verwandtschaft mit den Reliefs der Gigantomachie. Auch bei diesen
vermißten wir in vielen und gerade hervorragenden Figuren die natürliche
Einfachheit, auch hier war der Rhythmus oft unterbrochen, die ursprüng-
liche Bewegung gewissermaßen umgekehrt, in der Zeusgruppe z. B. die
ganze Handlung statt rhythmisch zusammengezogen, fast möchte man sagen:
auseinandergesprengt, das Gegenteil einer numerosa comprehensio, quam
perverse fugiens Hegesias . . . nach Cicero (or. 226). Die Gewandung aber,
welcher bei der Darstellung heftiger Bewegungen sonst eine vermittelnde,
mäßigende und harmonisierende Rolle zufällt, dient hier nicht selten noch
zur Verstärkung der Gegensätze, die in ihr nachklingen und weiter wirken.
Wenn demnach die sprachliche Rhythmik des Hegesias in der Plastik
der pergamenischen Kunst wiederkehrt, so kann sie nicht eine persönliche
Eigenschaft jenes Rhetors sein, sondern sie muß ihre Wurzeln in zeitlichen
oder örtlichen Verhältnissen haben, welche ihre Wirkungen auf den ver-
schiedensten Gebieten geltend machten. Auf eine solche weist Cicero (or. 24)
hin, wenn er sagt, daß die Art der Beredsamkeit eines Redners immer
unter dem Einflüsse der Urteilsfähigkeit seiner Hörer stehe. Das wenig ge-
bildete und feinfühlige Karien, Phrygien und Mysien habe eine seinen
Ohren angemessene fette und feiste (in Südbayern würde man sagen: ge-
schmalzte) Redeweise angenommen (opimum quoddam et tamquam adipatae
dictionis genus), welche nicht einmal bei dem benachbarten Rhodos Billigung
gefunden habe, von den Athenern aber gänzlich abgewiesen worden sei.
Vergegenwärtigen wir uns jetzt den Gesamtcharakter attischer Kunst, ge-
denken wir auch, wovon später ausführlich zu handeln, des Hauptwerkes
der rhodischen Kunst, des Laokoon, so erleiden in dieser Gegenüberstellung
die Worte Ciceros eine überraschende Anwendung auf die Skulpturen der
Ara. Das Volle und Breite der Gestalten, das Fleischige der Muskulatur,
die gerade in der Tiefe der Ausarbeitung hervortretende Massenhaftigkeit
der Gewandung rufen in unserer Einbildung den Eindruck stofflicher Fülle
hervor, der auf das Auge in derselben Weise wirken muß, wie jene asia-
nische Redeweise auf das Ohr.
Indessen wird sich die besondere Vortragsweise durch die Rücksicht
auf einen bestimmten Volksgeschmack allein nicht erklären lassen: es müssen
 
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