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Brunn, Heinrich; Brunn, Heinrich [Editor]; Brunn, Hermann [Editor]
Heinrich Brunn's kleine Schriften (Band 2): Zur griechischen Kunstgeschichte — Leipzig: Teubner, 1905

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https://doi.org/10.11588/diglit.45326#0374

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362 Studie über den Amazonenfries des Mausoleums.
cler auf das Knie gesunkenen Amazone und ihrer Genossin wird der Chiton
durch das Hervortreten des Schenkels in etwas gespreizter Weise auseinander
getriebem, wobei noch die Wiederholung des Motives in zwei so nähe ver-
bundenen Figuren wenig günstig wirkt. Die hier angedeutete Ungleich-
artigkeit beschränkt sich aber nicht bloß auf die Gewänder, sondern macht
sich ebenso in der ganzen Anlage cler Gestalten geltend. Einige derselben,
energisch in ihren Motiven und von rhythmischer Klarheit stehen neben
anderen, die, weniger sicher in der Erfindung, des harmonischen Flusses der
Linien entbehren. Vortrefflich gelungen ist die Gruppe der von Herakles
niedergeworfenen Amazone. In der nächsten Gruppe ist das halbe Zurück-
weichen und Sichumkreisen der beiden Gegner glücklich gedacht, aber künst-
lerisch nicht in allen seinen Feinheiten entwickelt. An der toten Amazone
der nächsten Gruppe stört nicht nur die Einförmigkeit des oberen Umrisses:
auch die ganze Gestalt fügt sich der Komposition der Gruppe in sehr un-
genügender Weise ein. Während ferner die Handlung des Bogenschießens
in ihrer strengen, fast mathematischen Abgemessenheit schon von der ältesten
Kunst mit bemerkenswertem Geschick aufgefaßt und künstlerisch verwertet
wurde, hat sie in der vorliegenden Gruppe viel von ihrem Reize verloren,
indem bei der für die Schützin gewählten Stellung die rechte Schulter und
der Oberarm dem Auge entzogen werden und der Vorderarm fast wie außer
Zusammenhang mit dem Körper erscheint. -— Von den beiden anderen, in
einer Gruppe vereinigten Amazonen ist die stehende voll Energie und Leben;
aber ihre künstlerische Schönheit wird nicht wenig dadurch beeinträchtigt,
daß ihr ganzer rechter Schenkel durch den Körper der Gefallenen verdeckt
wird und dadurch aufhört, für das weit nach auswärts gestellte linke Bein
ein künstlerisches Gegengewicht zu bilden. Wenn ferner die zweite Ama-
zone mit auseinandergespreizten Schenkeln zu Boden gesunken ist und ihr
Angreifer ihr das lang nach vorn gestreckte Bein auf den Schoß setzt, so
entsteht aus der Vereinigung aller dieser Motive eine Komposition, an der
ein feineres Empfinden in mehr als einer Beziehung Anstoß nehmen muß.
Klarer, aber auch lockerer ist die Verbindung innerhalb der letzten Gruppe,
und es mag hier zugleich die Bemerkung Platz finden, daß überhaupt in
dieser Serie die einzelnen Gruppen mehr lose nebeneinander gereiht als
auch nur äußerlich untereinander verknüpft sind.
Beachtung verdient ferner eine Eigentümlichkeit der Proportionen, die
besonders an den besser erhaltenen der Amazonen hervortritt. Sie sind
weit weniger schlank als die der anderen Serien und namentlich erscheinen
die Köpfe zu groß und schwer; doch leitete den Künstler offenbar nicht
das Bestreben, seinen Gestalten den breiteren und kräftigeren Bau, über-
haupt den mannhafteren Charakter der älteren „ephesischen“ Amazonenstatuen
zu verleihen, sondern vielmehr nur die Absicht, den Gegensatz des weib-
lichen Geschlechtes zum männlichen im gesamten Charakter der Formen
zur Anschauung zu bringen. Er glaubte dies zu erreichen, indem er sie
voller, runder und fleischiger bildete, gelangte aber dabei zu einem etwas
weichlichen Formenvortrag, welcher mehrfach die elastische und energische
Spannung in Fügung und Haltung der Glieder vermissen läßt, die gerade
den kunstgeschichtlich jüngeren Amazonenbildungen eigen zu sein pflegt. —
In der Durchbildung des einzelnen läßt sich das Streben nicht verkennen,
z. B. bei der Ausführung der kurzen Gewänder der Amazonen Einförmigkeit
 
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