Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Buchner, Ernst [Hrsg.]
Augsburger Kunst der Spätgotik und Renaissance — Augsburg, 1928

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.28869#0510
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
1. Wenn Dürer in der Konsequenz der Formbil
düng ein wesentliches Merkmal der Schönheit fin-
det und die schallende Natur überall nach diesem
Grundsatz verfährt, so heißt das doch nicht, daß
nnser natürliches Urteil, das nur gewisse Bildun-
gen als schön anerkennt, auszuscheiden habe. Ein
bäuerischer Körper kann ganz konsequent, d. h.
in sich harmonisch geformt sein, allein, wie Dürer
gelegentlich bäuerisch und häßlich gleichsetzt, so
ist es für ihn ganz selbstverständlich, daß ein ade-
liger Körper dem bäuerischen überlegen ist. Eben-
so nennt er einen runden Kopf schön im Gegen-
satz zu einem flachen oder spitzen, obwohl auch
diese Formen in einem Zusammenhang Vorkom-
men können, wo sie notwendig wirken. Die große
Schwierigkeit ist nun freilich, für jene (absolute)
Schönheit das Maß zu bestimmen: da stehen wir
vor einer nie ganz zu lösenden Aufgabe. Unser
Urteil schwankt. Die Finsternis steckt so hart in
uns, daß wir zu sicherer Erkenntnis des Schönen
nicht gelangen können. Aber wenn wir auch dau-
ernd auf ein unbestimmtes Urteilen angewiesen
sind und jeder einen anderen Geschmack hat. so
hat sich Dürers Schönheitsurteil doch nicht in
einen bloßen Relativismus aufgelöst. Gewiß, er
hat das Problem der absoluten Schönheit später
nicht mehr behandelt, aber deswegen hat es nicht
aufgehört zu existieren, Es wirkt mehr nur noch,
wie ein unsichtbares Gravitationszentrum, aus
dem Verborgenen herauf. In der Kunst aber ist
der ,,schöne Mensch" natürlich nur ein Thema
neben andern.
2. Wenn Dürer von der Schönheit allgemein ge-
steht, er wisse nicht, was das sei, so ist der Gleich-
klang des Satzes mit der Klage über die Unerkenn-
barkeit der rechten Schönheit zwar kaum zu über-
hören, doch ist allerdings die Interpretation, daß
die Schönheit an und für sich etwas Unergründ-
liches sei, namentlich da naheliegend (der Satz
kommt mehrfach vor), wenn es heißt: Die Schön-
heit, was das ist, das weiß ich nicht, obwohl

sie vielen Dingen a n h ä n g t. Das wird
dann doch bedeuten: obwohl man dem Schönen
vielfach begegnet, so bleibt ihr Wesen uns dunkel.
Jedenfalls aber ist hier auf das Gesetz der durch-
gehenden Proportionalität nicht angespielt.
Nun ist es wahr, daß Dürer gelegentlich die Schön-
heit mit der Vergleichlichkeit gleichsetzt, aber das
geschieht eben doch nur gelegentlich, und man
darf solche Aussagen nicht als streng verbindliche
Definition nehmen^). Um Dürer richtig zu ver-
stehen, muß man dauernd unterscheiden zwischen
dem, was von der Schönheit geometrisch faßbar
ist und dem, was ,,nicht durch Geometrie bewiesen
werden kann" (L. F. 226). Die schematischen Pro-
portionsliguren der Lehrbücher, auch wenn wir
von der Forderung des einen absoluten Maßes
absehen, sind doch noch lange keine schönen
Figuren. Sie geben nur das Gerüste, das nun erst
ausgefüllt werden muß mit all jenen Formen,
deren ,,seltsame" Linien ,,nach keiner Regel ge-
zogen werden können" (L. F. 223). Hier, sagt Dü-
rer, hilft nur ein unausgesetztes Naturstudium,
aus dem das Urteil über die schöne Form sich all-
mählich bilden wird. Die Natur ist überschwäng-
lich reich an Schönheit der einzelnen Formen,
bis in die allerkleinsten hinein, aber man muß viel
gesehen und viel gezeichnet haben, um in diesem
Reichtum sich allmählich zurechtzufinden. Und
dann — kaum ein Mensch hat alfe Teile schön,
man muß das Gute da und dort zusammensuchen,
wobei aber natürlich nur das Artverwandte zu-
sammengefügt werden kann.
Kauffmann setzt folgende zwei Sätze gleich: ,,Ver-
gleichlichDing acht! man hübsch" und ,,das ist gut
geachtet, so einer genau dem Leben mit abmachen
nachkommt" d. h. als das Wesentliche im Dürer-
i) Wie man sich auch das Verständnis des Dürer'schen Textes unnötig
erschwert, wenn man an der strikten Eindeutigkeit gewisser Worte
festhäit. ,,Vergieichiich" ist nicht nur — proportional, sondern auch
das Mittiere zwischen den extremen Fäiien (im Gegensatz zu ,,ab-
geschieden"). ,,Geschickt" ist nicht nur — schickiich, in den Zusam-
menhang passend, sondern auch — schön an und für sich (der Gegen-
satz: ,,häßiich und ungeschickt", ,,Unschicklichkeit undUngestait")usw.

490
 
Annotationen