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Buchner, Ernst [Editor]
Augsburger Kunst der Spätgotik und Renaissance — Augsburg, 1928

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https://doi.org/10.11588/diglit.28869#0511
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sehen Naturalismus will er eben das Herausholen
der gesetzmäßigen Proportionalität verstanden
wissen, allein er übersieht, daß Dürer zum zwei-
ten Satz beifügt: ,,— und sonderlich, wenn, das
abgemacht wird, hübsch ist" und daß hier von
jener andern, nicht bestimmt faßbaren Schönheit
die Rede ist. Nicht als ob die Natur nur hier und
nicht schon beim Problem der Proportionalität
Lehrmeisterin sein sollte, aber die Forderung, von
der ,,schönen" Natur nicht abzuweichen, hat doch
einen besonderen Sinn, wo eben das Licht der
Geometrie nicht leuchtet.
3. Daß das ,,Grundprinzip" der Kunst Dürers in
der Gruppe und nicht in der Einzelhgur gesucht
werden müsse, scheint die notwendige Kon-
sequenz des Begriffs der ,,Vergleichlichkeit" zu
sein. Freilich ist es auffällig, daß das Gruppen-
problem im künstlerischen Werk Dürers nicht
stärker hervortritt. Die vier Apostel, wo allerdings
vier Form-Charaktere in deutlichen Kontrasten
zusammengebracht sind, haben aber als Bild-
thema doch nur wenig Analogien. Aber rechtfer-
tigt der Text Dürers nicht dieses behauptete Prin-
zipat der Gruppe? In der Tat interpretiert ihn
Kaulfmann so, als ob wesentlich von Figuren-
ensembles, von einem Bildganzen die Rede sei,
obwohl er natürlich so gut wie jeder andere weiß,
daß ,,Bild" in Dürers Sprache ,,Figur" heißt und
nicht Gemälde. Nur ganz nebenbei spricht er auch
einmal von der ,,gruppenorganisierenden Macht
im Einzelkörper". Ich glaube aber, daß wirklich
der Einzelkörper (und der Einzelkopf) in der Ver-
gleichlichkeit seiner Teile für Dürer im Vor-
dergrund stand, und daß er, wenn das Gruppen-
problem auch nicht ganz bei Seite blieb, doch
damit rechnete, daß dem Betrachter die Gesetz-
mäßigkeit der Wirkung auch angesichts der iso-
lierten Einzelhguren zum Bewußtsein kommen
müsse. Selbst dann, wenn Dürer sagt, es sei nicht
nötig, die Fälle so weit auseinanderliegend zu wäh-
len, wie er es in den Figuren der Lehrbücher ge-

tan habe, braucht man noch nicht gleich an eine
Gruppe zu denken, und namentlich gibt die wei-
tere Folge der Sätze einem gar kein Recht dazu.
Es wird immer nur von Einzelhguren gesprochen:
ein saturnisch Bild z. B. (— die Figur eines satur-
nischen Menschen), und es heißt nirgends, daß
eine solche Gestalt in einen wirklichen Gruppen-
zusammenhang mit anderen gebracht werden
müsse. Wichtig ist nur, daß die Gesetzmäßigkeit
seiner Art sichtbar werde, ohne daß man eben des-
wegen zu extremen Bildungen (wo das andere Bil-
dungsgesetz natürlich stark in die Augen springt)
zu greifen brauchte. Darin liegt ja wohl auch die
einzigartige Kraft eines Dürer'schen Kopfes, daß
er alle charakteristische Form zu einer einheit-
lichen, konzentrischen Wirkung aufgeboten hat,
wie kein anderer, und es ist schwer glaublich, daß
er den Eindruck von der (unmittelbaren) Ver-
gleichbarkeit eines Körpers mit anderen inner-
halb eines Bildes sich abhängig gedacht habe. —
Damit kommen wir zum zweiten Teil der Kauff-
mann'schen Untersuchungen, der bei ihm umge-
kehrt dem ersten vorangestellt ist: die Anwendung
des ,,Rhythmus" im tatsächlich vorliegenden Dü-
rer'schen Werk.
Der Verfasser unterscheidet: zyklische Darstel-
lung, Eurhythmie der Paarung und rhythmische
Periode.
Da der Rhythmus eine (gesetzmäßige) Variation
des Identischen in sich schließt, so sind darunter
nicht nur Fälle wie die vier Apostel zu verstehen,
sondern auch jene Variationen einer gleichen Ge-
bärde, wie wir sie in hoher Vollendung in der
Zeichnung der fünf Auferstehenden (Berlin) vor
uns haben. Das Kontinuierliche im Haltungs-
wechsel nötigt uns, die Vergleichlichkeit im Un-
gleichen wahrzunehmen. Hier kann man dem Ver-
fasser ohne weiteres recht gehen. Aber nicht alle
seine Nachweise haben diese Kraft der Evidenz,
selbst nicht hei der von ihm so hochgeschätzten
,,Marter der Zehntausend".

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