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Concupiscentia oculorum
Perspectio und circumspectio
Man sollte meinen, daß die Differenzierung zwi-
schen dem (leiblich) Sichtbaren und dem allein
in der meditativen Versenkung Erfahrbaren nur
Andachtsbilder beträfe. Schließlich konnte die Bild-
betrachtung hier als Teil der geistlichen Übung
verstanden werden, als Ausgangspunkt für die
bildlose Andacht — was natürlich nicht heißen
muß, daß sie darauf zu reduzieren war. Die Unter-
ordnung erzählerischer Momente unter die Alle-
gorese des Ereignisses, die am Berliner Christus
am Kreuz zu beobachten war, findet man aber
auch in der Susanna im Bade1 (Taf. XXVII), einem
Gemälde, das wohl kaum der individuellen An-
dacht gedient haben dürfte. Er ist hier umso bemer-
kenswerter, als der Stoff scheinbar in epischer
Breite in mehreren Szenen präsentiert wird. Und
doch trügt die vorgebliche Ausführlichkeit. Die
Geschichte bleibt unvollständig und wird in der
Verknüpfung der einzelnen Episoden eher verun-
klärt, als daß sie erläutert würde. Für unseren
Zusammenhang ist die Susanna auch deshalb'
interessant, weil sich für sie eine Vorzeichnung
erhalten hat (Abb. 182)2 - in Altdorfers CEuvre ein
seltener Glücksfall, da wir sonst kaum vorberei-
tende Blätter kennen. Lediglich für zwei weitere
Arbeiten, die Badstubenfresken (Abb. 202 und 203)
und die Mariengeburt (Taf. XXI) sind Entwürfe
von seiner Hand erhalten. Die Kreuztragungen
Christi in Erlangen und Malibu, die ebenfalls als
Arbeitsblätter gelten, haben sich dagegen bislang
keinem Gemälde zuordnen lassen.3 Daß die Zeich-
nung zur Susanna im Bade überlebt hat, ist wohl
der prachtvollen Architekturkulisse zu verdanken;
vermutlich war sie, wie das Kircheninnere auch, in
die Vorlagensammlung eines anderen Künstlers
gelangt.4 Ihre Funktion ist bislang nicht eindeutig
geklärt. Einerseits ist sie quadriert, könnte also als
Karton für die Übertragung der Komposition auf
die Tafel gedient haben, andererseits weicht sie in
konzeptueller Hinsicht so stark von der Ausfüh-
rung ab, daß man sie eigentlich als Entwurf be-
zeichnen muß.5 Nach gegenwärtigem Kenntnis-
stand bleibt es also eine Ermessensfrage, welche
Aufgabe ihr zugeschrieben wird; Hinweise auf die
Werkgenese liefert sie im einen wie im anderen
Fall. Im Vergleich mit dem Gemälde läßt sich
wenigstens ausschnitthaft verfolgen, wie Altdofer
zur endgültigen Formulierung der Bildidee ge-
langt ist.
Wir kennen den Auftraggeber der Susanna im
Bade nicht, doch könnte sie, wie die Alexander-
schlacht, für den bayerischen Herzog Wilhelm IV.
1 Öl auf Lindenholz, 74,8 x 61,2 cm. Alte Pinakothek
München, Inv. Nr. 698.
2 Feder auf Papier, 33,2 x 27,4 cm. museum kunst palast,
Sammlung der Kunstakademie Düsseldorf, Inv. Nr. KA
(FP) 5496; Winzinger 1952, Nr. 111.
3 Winzinger 1952, Nr. 96; George Goldner/Lee Hendrix,
A New Altdorfer Drawing, in: Burlington Magazine
CXXIX, 1987, S.383-387; Mielke 1988, Nr. 97.
4 Der Entwurf eines Kircheninneren für die Marien-
geburt diente dem Altdorfer-Schüler Hans Miehlich
noch in den sechziger Jahren des 16. Jahrhunderts als
Vorlage, als er eine Prachthandschrift mit den Buß-
psalmen des Orlando di Lasso illuminierte: Pfeiffer
1992, S. 28-31.
5 Zur Diskussion der Funktion der Zeichnung vgl.
Schawe 1999, S. 100-102.
Concupiscentia oculorum
Perspectio und circumspectio
Man sollte meinen, daß die Differenzierung zwi-
schen dem (leiblich) Sichtbaren und dem allein
in der meditativen Versenkung Erfahrbaren nur
Andachtsbilder beträfe. Schließlich konnte die Bild-
betrachtung hier als Teil der geistlichen Übung
verstanden werden, als Ausgangspunkt für die
bildlose Andacht — was natürlich nicht heißen
muß, daß sie darauf zu reduzieren war. Die Unter-
ordnung erzählerischer Momente unter die Alle-
gorese des Ereignisses, die am Berliner Christus
am Kreuz zu beobachten war, findet man aber
auch in der Susanna im Bade1 (Taf. XXVII), einem
Gemälde, das wohl kaum der individuellen An-
dacht gedient haben dürfte. Er ist hier umso bemer-
kenswerter, als der Stoff scheinbar in epischer
Breite in mehreren Szenen präsentiert wird. Und
doch trügt die vorgebliche Ausführlichkeit. Die
Geschichte bleibt unvollständig und wird in der
Verknüpfung der einzelnen Episoden eher verun-
klärt, als daß sie erläutert würde. Für unseren
Zusammenhang ist die Susanna auch deshalb'
interessant, weil sich für sie eine Vorzeichnung
erhalten hat (Abb. 182)2 - in Altdorfers CEuvre ein
seltener Glücksfall, da wir sonst kaum vorberei-
tende Blätter kennen. Lediglich für zwei weitere
Arbeiten, die Badstubenfresken (Abb. 202 und 203)
und die Mariengeburt (Taf. XXI) sind Entwürfe
von seiner Hand erhalten. Die Kreuztragungen
Christi in Erlangen und Malibu, die ebenfalls als
Arbeitsblätter gelten, haben sich dagegen bislang
keinem Gemälde zuordnen lassen.3 Daß die Zeich-
nung zur Susanna im Bade überlebt hat, ist wohl
der prachtvollen Architekturkulisse zu verdanken;
vermutlich war sie, wie das Kircheninnere auch, in
die Vorlagensammlung eines anderen Künstlers
gelangt.4 Ihre Funktion ist bislang nicht eindeutig
geklärt. Einerseits ist sie quadriert, könnte also als
Karton für die Übertragung der Komposition auf
die Tafel gedient haben, andererseits weicht sie in
konzeptueller Hinsicht so stark von der Ausfüh-
rung ab, daß man sie eigentlich als Entwurf be-
zeichnen muß.5 Nach gegenwärtigem Kenntnis-
stand bleibt es also eine Ermessensfrage, welche
Aufgabe ihr zugeschrieben wird; Hinweise auf die
Werkgenese liefert sie im einen wie im anderen
Fall. Im Vergleich mit dem Gemälde läßt sich
wenigstens ausschnitthaft verfolgen, wie Altdofer
zur endgültigen Formulierung der Bildidee ge-
langt ist.
Wir kennen den Auftraggeber der Susanna im
Bade nicht, doch könnte sie, wie die Alexander-
schlacht, für den bayerischen Herzog Wilhelm IV.
1 Öl auf Lindenholz, 74,8 x 61,2 cm. Alte Pinakothek
München, Inv. Nr. 698.
2 Feder auf Papier, 33,2 x 27,4 cm. museum kunst palast,
Sammlung der Kunstakademie Düsseldorf, Inv. Nr. KA
(FP) 5496; Winzinger 1952, Nr. 111.
3 Winzinger 1952, Nr. 96; George Goldner/Lee Hendrix,
A New Altdorfer Drawing, in: Burlington Magazine
CXXIX, 1987, S.383-387; Mielke 1988, Nr. 97.
4 Der Entwurf eines Kircheninneren für die Marien-
geburt diente dem Altdorfer-Schüler Hans Miehlich
noch in den sechziger Jahren des 16. Jahrhunderts als
Vorlage, als er eine Prachthandschrift mit den Buß-
psalmen des Orlando di Lasso illuminierte: Pfeiffer
1992, S. 28-31.
5 Zur Diskussion der Funktion der Zeichnung vgl.
Schawe 1999, S. 100-102.