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Friederichs, Karl
Programm zum Winckelmannsfeste der Archäologischen Gesellschaft zu Berlin (Band 23): Der Doryphoros des Polyklet — Berlin, 1863

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https://doi.org/10.11588/diglit.706#0008
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8

Es stimmen nun der Doryphoros und der hier publicirte Typus in folgenden
Punkten überein: Erstens im Gegenstand der Darstellung, dann in den kräftigen
Formen und der Statur, die, wie wir wissen, bei Polyklet weniger schlank war als
bei Lysippus, endlich in Material und Zeit. Meiner Vermuthung steht also, soviel
ich sehe, nichts entgegen, aber fraglich kann es erscheinen, ob die nachgewiesenen
Uebereinstimmungen zur Identificirung ausreichend sind.

Auch andre Künstler machten einen Doryphoros; es werden uns Cresilas und
Annus als solche bezeichnet,17) und wenn wir den letztern wegen seiner spätem
Zeit gleich ausschliessen dürfen, so könnten dagegen auf den Doryphoros des Cre-
silas, der uns nur dem Namen nach bekannt ist, mehrere der oben angegebenen
Kriterien passen, da er ein Zeitgenosse Polyklet's war. Doch ist es gewiss wegen
der Nachahmung des Apollonius und der andern zahlreichen Copien gerathener, den
hochberühmten Doryphoros des Polyklet als Original vorauszusetzen, als den unbe-
rühmten des Cresilas, und wenn dasjenige, was wir von Polyklet im Allgemeinen
und dem Doryphoros insbesondre wissen, in unsrer Statue sich wiederfindet, so
muss es natürlich erscheinen, von einem andern unbekannten Doryphoros abzusehn.

Ist meine Vermuthung richtig, so ergeben sich daraus mehrere Folgerungen für
die Geschichte der Plastik, von welchen ich hier nur eine hervorhebe, nämlich die,
dass die ludovisische Juno unmöglich auf Polyklet zurückgeführt werden kann. Ich
habe mir freilich immer den Polyklet nach seiner Zeit und nach dem, was von ihm
berichtet wird, als einen zu strengen Künstler gedacht, als dass jener Marmorkopf
ihm zugeschrieben werden könnte; das Urtheil Meyer's, der ihn mit der Mattei'schen
Amazone, die er sich gewiss mit Eecht der Zeit Polyklet's nahestehend denkt, ver-
glich, scheint mir auch jetzt noch vollkommen zutreffend: „Dass der ludovisische
Kolossalkopf erst nach der Zeit des Polyklet verfertigt ist, ergiebt sich im Ver-
gleiche mit der oben erwähnten Amazone, aus der sehr beträchtlich mildern und
leichtern Behandlung der Haare, wie auch aus der nachgelassenen Strenge in An-
deutung der Formen überhaupt. Will man es wagen, die ungefähre Zeit der Ent-
stehung dieses Werks auszumitteln, so mag es mit einiger Wahrscheinlichkeit noch
dem hohen Stile zugeschrieben werden, doch als ein späteres Erzeugniss desselben

an einem in ihrer Mitte befindlichen Grabmal Trauer und Gaben dargebracht werden. Von diesen
Analogien ist unsre Vase nicht zu trennen. Wie der Schlüssel und das Götterbild in der Hand der
dritten Figur zu verstehn, darüber habe ich einstweilen nur Vermuthungen, die ich zurückhalte.
Gerhard (zu n. 908) war übrigens ganz auf dem richtigen Wege, ihn befremdete auch der Gedanke,
die Mittelgruppe des Bildes, die wie räumlich so auch geistig das Centrum desselben bildet, als nur
in einem Hintergrunde vorhanden zu denken, wie es nach jener Erklärung nothwendig ist.
17) Plin. 34, 75 u. 86. Vgl. Brunn I, p. 261.
 
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