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Carrière, Moriz
Die Kunst im Zusammenhang der Culturentwickelung und die Ideale der Menschheit: [ein Beitrag zur Geschichte des menschlichen Geistes] (Band 2): Hellas und Rom in Religion und Weisheit, Dichtung und Kunst: ein Beitrag zur Geschichte des menschlichen Geistes — Leipzig, 1872

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https://doi.org/10.11588/diglit.33535#0025
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Hellas.

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dennoch herrscht wieder der gemeinsame Geist in der Fülle dieser
Bildungen; die gemeinsame Sprache umschlingt sie alle als ein
stets sich webendes Band, und die Vorzüge einzelner Mundarten
kommen dem Ganzen zugute; was irgendein Ort nach seiner
Eigenthümlichkeit vollendet hervorbringt das wird als ein beson-
derer Ton in die Harmonie des Ganzen ausgenommen.
Aber nicht bloß der Freiheitsliebe und dem Bürgersiune,
auch dem ästhetischen Gefühle kommt die Natur freundlich ent-
gegen. Formen und Farben bieten sich dem Auge in erstaunlicher
Kraft und Fülle, und wecken und nähren die Freude des An-
schauens, des anschaulichen Gestalteus. „Der Einfluß des Him-
mels muß den Samen beleben, aus welchem die Kunst soll ge-
trieben werden, und zu diesem Samen war Griechenland der aus-
erwählte' Boden." So sagt schon Winckelmann, und die Reise-
beschreibungen der neuern Zeit deuten dies dahin daß kein Land
der Erde in solchem Grade die Schönheit aller Gegenden Europas
verbunden zeigt. Der Wanderer der aus Thessaliens rossenähren-
den Ebenen den Peneios entlang in das Tempethal kommt, glaubt
sich aus Norddeutschlands fruchtgesegneter Flur wie durch Zauber-
schlag in die glanzvolle Lieblichkeit Italiens versetzt, und eine
Stunde weiter thaleinwärts umfängt ihn die großartige Felsen-
pracht einer Alpenlandschaft. Hier erscheint die Natur als plastische'
Künstlerin, die das Schroffe und Milde versöhnend nebeneinander-
stellt, das kühnaufsteigende Gebirge mit ebenmäßig schwungvollen
Linien umgrenzt und abrundet; und dann wird wieder das Auge
hinausgelockt auf die weite Fläche des Meeres mit seinem un-
ablässigen Wogeuschlag, der am festen Gestade sich in immer an-
dern fließenden Formen reizvoll bricht, lieber der blauen Flut
erhebt sich das Grün der Auen und Wälder, das schimmernde
Grau der Berge in den hellblauen Himmel empor, und von der
frischen Kühle des Morgens bis zur warmen Glut des Abends
ruft das Sonnenlicht einen Farbenzauber hervor so strahlend und
so duftig, so vieltöuig und verschmelzend zugleich, daß das Auge
trunken von Lust sich daran nicht zu sättigen vermag, und doch
immer wieder auf der festen schönen Form ausruht, die er um-
fließt. Auch der Körper des Menschen ist voll Kraft und Ge-
schmeidigkeit, ohne üppige Fülle, formenbestimmt, und doch die
deutliche Gliederung einheitlich in sich gerundet. Erst in den
Griechen sei die Plastik der Natur selbst auf ihren: Höhenpunkt
angekommen, behauptet ein geistvoller Naturforscher unserer Tage,
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