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Almanach 1926

„Wohin?“
„Ich weiß es nicht.“
„Du weißt nicht, wohin er ist? Ist er ganz fort?“
„Er hat dir einen Brief zurückgelassen; hier ist er.“
Ich reichte ihr den Brief. Sie nahm ihn eilig und über-
flog ihn rasch. Dies ist der Brief:
. 4 Uhr morgens, den 28. Oktober 1910
Meine Abreise wird ..Dich betrüben, es tut mir leid,
doch verstehe mich und glaube mir, daß ich nicht anders
handeln konnte. Meine Lage im Haus wird unerträglich,
sie ist es längst geworden. Abgesehen von allem andern,
ist es mir unmöglich, in dieser luxuriösen Umgebung
weiterzuleben, und ich habe das getan, was alte Leute in
meinem Alter gewöhnlich tun — ich verlasse dieses welt-
liche Leben, um meine letzten Lebenstage in Abgeschie-
denheit und Stille zu verbringen.
Ich bitte Dich, das zu würdigen und mich nicht auf-
zusuchen, auch wenn Du meinen Aufenthaltsort erfahren
solltest. Ein solcher Besuch würde nur Deine und meine
Lage verschlimmern, aber nichts an meinem Entschlüsse
ändern.
Ich danke Dir für Dein ehrliches, achtundvierzigj ähriges
Zusammenleben mit mir und bitte Dich, mir zu verzeihen,
wenn ich mir Dir gegenüber etwas habe zuschulden
kommen lassen, ebenso wie ich Dir von Herzen alles ver-
zeihe, was Du vielleicht an mir verschuldet hast. Ich rate
Dir, Dich mit der neuen Lage abzufinden, in die Dich
meine Abreise versetzt hat, und bitte Dich, meiner nicht
unfreundlich zu gedenken. Wenn du mir etwas mitzu-
teilen beabsichtigst, so übergib es Sascha, sie wird über
meinen Aufenthaltsort verständigt sein und mir das Nötige
 
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