Rene Fülöp-Miller: Jasnaja-Poljana nach Tolstojs Tode
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die Menschen „Ameisenbrüder“1) werden. (Wahrschein-
lich dachte er an die Mährischen Brüder, von denen er
gehört oder gelesen hatte. In unserer Kindersprache hießen
sie jedoch die „Ameisenbrüder“.) Ich erinnere mich, daß
dieser Gedanke uns sehr gefiel, da es uns an den Ameisen-
haufen erinnerte. Wir spielten damals öfters „Ameisen-
brüder . Dieses Spiel bestand darin, daß wir uns unter
die Stühle setzten, diese mit Schranken umgaben, mit
Tüchern verhängten und dann im Finstern dicht anein-
ander gedrängt saßen. Ich erinnere mich, dabei ein Ge-
fühl von Liebe und Demut empfunden zu haben und ich
liebte dieses Spiel sehr. „Die Mährischen Brüder“ hatten
wir entdeckt, nicht aber das eigentliche Geheimnis, wie
man glücklich machen könne. Dieses Geheimnis konnten
wir auch nie erfahren, denn unser Bruder Nikolej hatte
es auf einem grünen Stäbchen aufgezeichnet und dieses
warin einer Böschung neben der Straße vergraben worden;
an dieser Stelle möchte auch ich, da mein Leichnam doch
irgendwo mit Erde bedeckt werden wird, zum Andenken
an Nikoljenka begraben werden.“
Das den Besitz der Familie Tolstoj umgebende Dorf
Jasnaja-Poljana hat ungefähr achthundert Einwohner.
Tolstoj lebte eng verbunden mit der Dorfbevölkerung,
kannte etwa zwei bis drei Bauerngenerationen und war
auch persönlich mit der Lebensgeschichte eines jeden von
ihnen vertraut. Zu manchem seiner Helden hatten Typen
aus Jasnaja zum Vorbild gedient. Auch wohnt hier noch
heute ein sehr, sehr alter russischer Bauer, Taras Karpo-
Ameise heißt russisch „Murawei“, ein russisches Wortspiel
zu mährisch, das „morawsky“ heißt; russisch klingen die Worte
„Ameisenbrüder“ und „Mährische Brüder“ fast gleichlautend.
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die Menschen „Ameisenbrüder“1) werden. (Wahrschein-
lich dachte er an die Mährischen Brüder, von denen er
gehört oder gelesen hatte. In unserer Kindersprache hießen
sie jedoch die „Ameisenbrüder“.) Ich erinnere mich, daß
dieser Gedanke uns sehr gefiel, da es uns an den Ameisen-
haufen erinnerte. Wir spielten damals öfters „Ameisen-
brüder . Dieses Spiel bestand darin, daß wir uns unter
die Stühle setzten, diese mit Schranken umgaben, mit
Tüchern verhängten und dann im Finstern dicht anein-
ander gedrängt saßen. Ich erinnere mich, dabei ein Ge-
fühl von Liebe und Demut empfunden zu haben und ich
liebte dieses Spiel sehr. „Die Mährischen Brüder“ hatten
wir entdeckt, nicht aber das eigentliche Geheimnis, wie
man glücklich machen könne. Dieses Geheimnis konnten
wir auch nie erfahren, denn unser Bruder Nikolej hatte
es auf einem grünen Stäbchen aufgezeichnet und dieses
warin einer Böschung neben der Straße vergraben worden;
an dieser Stelle möchte auch ich, da mein Leichnam doch
irgendwo mit Erde bedeckt werden wird, zum Andenken
an Nikoljenka begraben werden.“
Das den Besitz der Familie Tolstoj umgebende Dorf
Jasnaja-Poljana hat ungefähr achthundert Einwohner.
Tolstoj lebte eng verbunden mit der Dorfbevölkerung,
kannte etwa zwei bis drei Bauerngenerationen und war
auch persönlich mit der Lebensgeschichte eines jeden von
ihnen vertraut. Zu manchem seiner Helden hatten Typen
aus Jasnaja zum Vorbild gedient. Auch wohnt hier noch
heute ein sehr, sehr alter russischer Bauer, Taras Karpo-
Ameise heißt russisch „Murawei“, ein russisches Wortspiel
zu mährisch, das „morawsky“ heißt; russisch klingen die Worte
„Ameisenbrüder“ und „Mährische Brüder“ fast gleichlautend.
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