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THEODOR SCHALL war in Deutschland einer der feinsten Vertreter des Marchand*
Amateur*Typus. Er hieß „Direktor“ Schall, weil er einmal Direktor der Kunst*
halle und des Kunstvereins in Baden*Baden gewesen war. In dieser Stellung hatte er das
Sammeln, Kaufen und Verkaufen von Bildern betrieben und war dann wieder Privat*
mann geworden und nach Berlin gezogen. Ein sympathischer Mann, auch äußerlich. Hoch
aufgeschossen mit einem kühn geschnittenen Kopf, verwittertem Gesicht und milden
Zügen unter grauem gelockten Haar. Vornehm in der Haltung, leise und ruhig in der
Sprechweise. Wer ihn zum erstenmal sah, dachte vielleicht, er sei einer von denen, die
gern in einem Quartett mitspielen und gelegentlich ein Glas alten Rheinweins genießen
können. In einer Novelle von Fontane hätte er gute Figur gemacht. Er war ein Original,
auffallend nur durch das Fehlen alles Auffallenden. Jeder im Berliner Kunstleben kannte
ihn, aber keiner wußte viel von ihm. Denn er sagte nicht viel. Nicht, daß er ein un*
geselliger Sonderling gewesen wäre, gar nicht. Aber er hörte lieber zu, was die anderen
sagten und warf nur manchmal ein Wort dazwischen. Das traf dann in aller Ruhe den
Nagel auf den Kopf, wie oft bei Leuten, denen die Kunst des guten Zuhörens geläufig ist.
Er hatte sehr viel mit angesehen in einer Epoche, in der deutsches Sammlerwesen und
Kunsthändlertum eine von ihm in seiner Jugend noch nicht geahnte Entwicklung durch*
machten und ihre Blütezeit erlebten. Er wußte viel, von Dingen und Menschen, hatte
manchmal mitten dringestanden und sich doch immer ein wenig abseits gehalten.
„Die Jagd nach dem Glück und solche Sachen
Die lasse ich längst von Andren machen.“
Ob er als Marchand sehr erfolgreich war oder nicht, sah man nicht deutlich. Es sind
ihm große Dinge durch die Hände gegangen, gelegentlich sehr schöne Bilder von Alt*
deutschen, die er sehr liebte, für die er aber wohl nicht reich genug war, Cranach, aber
sehr schön, und Hans Baldung*Grien sah man wohl in seiner Wohnung in der Lietzen*
burgerstraße. Eine weitere Spezialität, wenn man bei einem so skeptischen Geschmack
überhaupt von Spezialität reden kann, waren die Deutsch*Römcr aus der zweiten Hälfte
des 19. Jahrhunderts, Böcklin, Feuerbach und Hans von Marees. Manches ihrer Bilder, das
eines Tages dann bei ihm fehlte, hing plötzlich in einer der berühmtesten und gewähltesten
deutschen Privatsammlungen. Er verkaufte wenig und kaufte wenig, auch auf Auktionen.
Er saß immer da und paßte auf und hat eigentlich keine der wichtigen und interessanten
Auktionen des letzten Jahrzehnts versäumt. Daran, daß einmal eines Tages eine „Samm?
lung Schall“ da sein würde, die ihrerseits eine interessante Auktion abgeben würde, hatte
wohl niemand gedacht, ebensowenig wie daran, daß diese kleine Sammlung einen beson*
deren festgeschlossenen Charakter haben würde. Er machte nicht viel aus ihr und rühmte
seinen Besitz nicht, etwa so wie einer seiner Kollegen, der vor jedem Trübner, den er
besaß, mit Emphase ausrief: „Der schöhnste Trübner!“ Schall kaufte billige Bilder teurer
Meister. Und nun ist es erstaunlich, daß so wenig Mittelmäßiges in der Sammlung vor*
kommt. Was Schall kaufte, ist immer nach einer bestimmten Seite hin interessant und
verrät eine feine vorsichtigte Auswahl. Er scheute sich nicht vor Nebenwerken und un*
gewöhnlichen Stücken, ging auch oft gegen die Mode und die Konjunktur. Er sah in
Trübnerschen Bildern mythologischen Inhalts die großen Qualitäten zu einer Zeit, wo
Amateur*Typus. Er hieß „Direktor“ Schall, weil er einmal Direktor der Kunst*
halle und des Kunstvereins in Baden*Baden gewesen war. In dieser Stellung hatte er das
Sammeln, Kaufen und Verkaufen von Bildern betrieben und war dann wieder Privat*
mann geworden und nach Berlin gezogen. Ein sympathischer Mann, auch äußerlich. Hoch
aufgeschossen mit einem kühn geschnittenen Kopf, verwittertem Gesicht und milden
Zügen unter grauem gelockten Haar. Vornehm in der Haltung, leise und ruhig in der
Sprechweise. Wer ihn zum erstenmal sah, dachte vielleicht, er sei einer von denen, die
gern in einem Quartett mitspielen und gelegentlich ein Glas alten Rheinweins genießen
können. In einer Novelle von Fontane hätte er gute Figur gemacht. Er war ein Original,
auffallend nur durch das Fehlen alles Auffallenden. Jeder im Berliner Kunstleben kannte
ihn, aber keiner wußte viel von ihm. Denn er sagte nicht viel. Nicht, daß er ein un*
geselliger Sonderling gewesen wäre, gar nicht. Aber er hörte lieber zu, was die anderen
sagten und warf nur manchmal ein Wort dazwischen. Das traf dann in aller Ruhe den
Nagel auf den Kopf, wie oft bei Leuten, denen die Kunst des guten Zuhörens geläufig ist.
Er hatte sehr viel mit angesehen in einer Epoche, in der deutsches Sammlerwesen und
Kunsthändlertum eine von ihm in seiner Jugend noch nicht geahnte Entwicklung durch*
machten und ihre Blütezeit erlebten. Er wußte viel, von Dingen und Menschen, hatte
manchmal mitten dringestanden und sich doch immer ein wenig abseits gehalten.
„Die Jagd nach dem Glück und solche Sachen
Die lasse ich längst von Andren machen.“
Ob er als Marchand sehr erfolgreich war oder nicht, sah man nicht deutlich. Es sind
ihm große Dinge durch die Hände gegangen, gelegentlich sehr schöne Bilder von Alt*
deutschen, die er sehr liebte, für die er aber wohl nicht reich genug war, Cranach, aber
sehr schön, und Hans Baldung*Grien sah man wohl in seiner Wohnung in der Lietzen*
burgerstraße. Eine weitere Spezialität, wenn man bei einem so skeptischen Geschmack
überhaupt von Spezialität reden kann, waren die Deutsch*Römcr aus der zweiten Hälfte
des 19. Jahrhunderts, Böcklin, Feuerbach und Hans von Marees. Manches ihrer Bilder, das
eines Tages dann bei ihm fehlte, hing plötzlich in einer der berühmtesten und gewähltesten
deutschen Privatsammlungen. Er verkaufte wenig und kaufte wenig, auch auf Auktionen.
Er saß immer da und paßte auf und hat eigentlich keine der wichtigen und interessanten
Auktionen des letzten Jahrzehnts versäumt. Daran, daß einmal eines Tages eine „Samm?
lung Schall“ da sein würde, die ihrerseits eine interessante Auktion abgeben würde, hatte
wohl niemand gedacht, ebensowenig wie daran, daß diese kleine Sammlung einen beson*
deren festgeschlossenen Charakter haben würde. Er machte nicht viel aus ihr und rühmte
seinen Besitz nicht, etwa so wie einer seiner Kollegen, der vor jedem Trübner, den er
besaß, mit Emphase ausrief: „Der schöhnste Trübner!“ Schall kaufte billige Bilder teurer
Meister. Und nun ist es erstaunlich, daß so wenig Mittelmäßiges in der Sammlung vor*
kommt. Was Schall kaufte, ist immer nach einer bestimmten Seite hin interessant und
verrät eine feine vorsichtigte Auswahl. Er scheute sich nicht vor Nebenwerken und un*
gewöhnlichen Stücken, ging auch oft gegen die Mode und die Konjunktur. Er sah in
Trübnerschen Bildern mythologischen Inhalts die großen Qualitäten zu einer Zeit, wo