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Kunstsalon Paul Cassirer <Berlin> [Hrsg.]; Hugo Helbing <München> [Hrsg.]; Ostermann, Paul [Bearb.]
Sammlung Dr. Paul v. Ostermann, Darmstadt - München (Band 1): Europäische Porzellane, Fayencen, Möbel, Stiche, alte Gemälde: Versteigerung: 30./31. Oktober, 2. November 1928 bei Paul Cassirer, Berlin — München, 1928

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https://doi.org/10.11588/diglit.16204#0007
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VORWORT

j nter den schon vor dem Krieg enstandenen und berühmt gewordenen Por-
zehansammhmgen nahm die zuerst inDarmstadt begonnene, später inMün-
chen weitergeführte Sammlung Paul von Ostermann dadurch eine Sonderstehung
ein, daß ihren Hauptbestand nicht die hgürliche Plastik, sondern die Gefäße bil-
deten. Die Neigung dieses mit ebenso umfassenden wie eindringendenKenntnissen
der europäischen Porzellankunst begabten Sammiers galt offenbar in erster Linie
der Porzellanmalerei, deren unendliche Mannigfaltigkeit in ornamentaien, figür-
lichen, landschaftlichen Darstellungen sich am vohendetsten in der Gefäßdekora-
tion entfaitet hat. Diese Kunst ist innerhaib des europäischenPorzeiians im wesent-
lichen immer eine Miniaturmaierei gewesen; ihre Qualität ist durch den Zwang,
sich auf die Dekoration kieiner Fiächen beschränken zu müssen, keineswegs ge-
mindert, sondern im Gegenteii eher zur äußersten Feinheit gesteigert worden. Da
in der Tat auf den reiativ kleinen Gefäßen der Dejeunerservice häufiger als auf den
großen Tafelgeschirren und Dekorationsvasen die reizvoilsten und sorgfäitigsten
Malereien zu finden sind, ist es begreifiich, daß ein so passionierter Sammler, der
auf die Spitzenieistungen der Porzeilanmalerei ausging, den Tassen seine besondere
Vorliebe zugewendet hat, mit dem Erfoig, daß innerhalb der Geschirrsammlung
v. Ostermann eine Speziaisammiung von Tassen entstanden ist, die nicht am
wenigsten zum Ruhm des ganzen Bestandes beigetragen hat.
An der ersten Steiie stehen in dieser Abteilung naturgemäß die Meißener Tassen
aus den Jahrzehnten der Kunstblüte der sächsischen Manufaktur, von 1720 bis 1750.
Sie beginnen mit den noch in die Böttgerzeit zurückreichenden Gefäßen mit Goid-
chinesen, an die seit 1725 etwa die bunten Chinesenbilder Joh. Gregor Herolds und
seiner Schuie sich anschließen, darunter mehrere Stücke (Nr. 75 und 78), die den
Radierungen Herolds sehr nahe stehen. Daneben erscheinen, ebenfalls der Früh-
zeit angehörig, in langen Reihen die dem japanischen Aritaporzellan oft täuschend
ähnlichen Geschirre ostasiatischen Stils (Nr. 93 ff.), die zum Teil über die Mitte des
18. Jahrhunderts schon hinausgehen.
Dann volizieht sich bald nach 1730 der Übergang zur europäischen, vom japa-
nischen und chinesischen Einfluß befreiten Dekoration. Es treten nun die Hafen-
szenen niederländischer Art auf, die Landschaften mit Figuren, Jagdbilder und
Reitergefechte nach Rugendas oder Wouwermann, gesellige Gruppen im Freien
mit den ersten Entlehnungen aus den Stichen nach Watteau. AHe diese in ganz
virtuoser Miniaturmalerei polychrom oder einfarbig ausgeführten Biidchen sind zu-
meist gerahmt und umzogen von „Goldspitzenrändern", einer dem Meißener Por-
zellan eigentümlichen und dem kleinen Format angepaßten Variation des spät-
barocken Laub- und Bandelwerkes. Erst um 1745 treten Muscheln und andere Ro-
kokomotive (Beispiele Nr. 171, Nr. 172, Nr. 182) an die Stelle der barocken Rah-
mungen. Mit diesen wahrhaft kostbaren Geschirren hat nicht nur die Meißener
Dekorationskunst, sondern die europäische PorzellanmalereiüberhauptihrenHöhe-
punkt erreicht. In der Sammlung v. Ostermann bilden die Tassen, Kännchen,
Kummen dieser Gattung mit nahezu hundert Stücken, von denen die Hälfte „Fond
porzellane" mit ausgesparten Bildfeldern auf farbigem Grund sind, eine an Schön-
heit und Mannigfaltigkeit kaum zu überbietende Gruppe (Nr. 167—240, dazu die
 
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