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Charis: rhein. Morgenzeitung für gebildete Leser (2) — 1822

DOI Kapitel:
No 71-78 (September 1822)
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Charis.

Rheiniſche Worgenzeitung
uen d

Bote vom Neckar und Rhein.

Vereinigtes Unterhaltungsblatt fuͤr gebildete Leſer.

IIII—ITIUUUTUTITTIĩ⏑—π—ITITITITITICICICICICICICICICICICICICICICIICIEeeeee--S-

Ne 71.

Mittwoch, den 4. September,

1822.

IIFIIII XA ⏑ — +—+—

Die Auferſt andene.

5.
Heinrich Pun ſch an Liſette Koch.

Appenzell, im November 1792.
Ei, ei, Liſettchen, was habe ich Dir fuͤr herz-
brechende Geſchichten zu erzaͤhlen; ziehe Deine
ſchwarzſeidenen Augenvorhaͤnge weit auf, denn
kaum wirſt Du trauen, was Du liest, und doch
iſt es die reinſte Wahrheit, und ſo klar, wie mei-
ne Unſchuld, an der Du Dich oft durch leichtfer-
tige Zweifel verſuͤndigt haſt.
Nun höre, denn ich fuͤhle mich heute inſonders
witzig.
Du kennſt doch noch das ſchneeweiße Kaͤtzchen
und den pechſchwarzen langen Kater, welche beide
die alte gnaͤdige Frau beſaß, bei welcher wir vor
zehn Jahren, Du als Stubenſchraͤnzchen, ich als
geheimer Schreiber, in Dienſten ſtanden? — J
freilich kennſt Du ſie, denn ihr naͤchtliches Liebes-
miauen ſteigerte ja oft die Gluth unſerer Gefuͤhle,
und meine Schwuͤre ewiger Treue ſchmolzen fmit
dem ruͤhrenden Katergeſange zuſammen, wie Or-
gelton und Glockenklang. deine Schwuͤre ſind

zwar aus meinem Munde geglitten, aber meine

Treue ſteckt feſt im Herzen, wie der verroſtete
Schluͤſſel in der Huͤhnerſtallthuͤr auf meines Herrn
dahieſigem Gute. —
Alſo das Katzenpaar. Nun ſieh, grade ſo wie
dieſes, liebte ſich zwei Jahre lang, denke Dir,
zwei lange Jahre, — meine junge Herrſchaft.

Als jetziger Haushofmeiſter hatte ich immer unge-
hinderten Zutritt zu ihnen, und da fand ich ſie
denn haͤufig in ſo ruͤhrender Zaͤrtlichkeit, daß mir
helllaut das Herz im Leibe lachte, und mir die
Thraͤnen wie lange Perlen in den Augen ſtanden,
und ich vor Entzuͤcken knirſchte.
Da kam, ich weiß ſelbſt nicht wie und woher,
mit einem Male ein franzoſiſches Mamſellchen an-
geſchwaͤnzelt, nahm im gnaͤdigen Hauſe ein ſchoͤ—
nes Zimmer ein, klimperte auf einer Art von
Geige, ſang dazu, daß den Kuͤhen im Stall die

Milch in den Eitern gerann, und wußte, wenn
die gnaͤdige Frau nicht zugegen war, ſo ſuͤß mit

dem gnaͤdigen Herrn zu liebaͤugeln, daß ſchon mir,
als kalter Zuſchauer das kiare Waſſer im Munde
zuſammenlief; — wie mußle ihm nun erſt dabei
zu Muthe ſeyn, der kein Waſſer im Munde, aber
dafuͤr brennendes Siegellak in den Adern hat.
Bald war es auch richtig. Das franzoͤſiſche Ding-
chen ſpielte die Dame vom Hauſe, und Alles ſollte
nach ihrer Gaͤnſepfeife tanzen Meinem Herrn hatte,
ſie das Seil foͤrmlich uͤber die Hoͤrner geworfen,
die gnaͤdige Frau behandelte ſie wie eine Unterge-
bene, mich nannte ſie ein Baht, (ich glaube das
ſoll heißen Baͤ⸗Schaaf, weil ich nicht wie ein fran-
zoͤſiſcher Flederwiſch ausſehe), und das Geſinde
fuhr ſie an, wie der Bauer den Miſt mit der
Gabel. ö
Die gute gnaͤdige Frau litt hierbei am meiſten,
denn ihre zu große Sanftmuth ertrug die uͤble

Behandlung der beiden Liebesleute mit Geduld,
 
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