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ROM
condizione d’animo e di corpo“. Aber in der reichen grossen Stadt fand
sie bald ihre Frische und ihre Gesundheit wieder; obgleich sie vierzig
Jahre alt war, sah sie noch ausgezeichnet aus, und einer ihrer Verehrer
besingt damals ihren Körper, der weisser sei als Alabaster und schim-
mernder Schnee. Die Frauen beneideten sie um ihre schöne Hand, ihr
Gesang wurde bewundert, und die Florentiner staunten immer aufs
neue über die Leichtigkeit, mit der sie ein Gespräch zu führen wusste.
Wieder wurde sie mit Sappho und Corinna verglichen.
In der ihr fremden Stadt scheint Tullia nach einem Protektor ge-
sucht zu haben, sie fand ihn in Benedetto Varchi, dem berühmten
Dichter und fesselnden Menschen. Den verbannten Varchi hatte der
Herzog Alessandro de1 Medici kürzlich berufen, damit er Vorlesungen
über Literatur an der Academia degli FJmidi halte. Sein grosser Name
ging ihm voraus, die Leute blieben auf der Strasse stehen, wenn er
vorbeiging, um ihm nachzusehen. Varchi ist der Verfasser einer heute
sehr hoch geschätzten Geschichte von Florenz, aber das Publikum
kannte damals nur seine Liebes- und Gelegenheitsgedichte mit jenem
seltsam spöttischen Zug, den Berni in die italienische Poesie eingeführt
hatte. Daher wurden diese Gedichte „poesia bernesca“ genannt, der
Hinweis genügt, dass unter Varchis Erzeugnissen sich das Lob von
Schweinsfüsschen und Landkäse oder der Tadel harter Eier befindet.
Varchis Ruhm basierte nicht auf seinen Verdiensten und sittlichen
Plandlungen. Er gehört zu jenen Menschen, nach deren Privatleben
man am besten nicht fragt. Ziemlich unmittelbar vor Tulliens Ankunft
in Florenz, als er noch in seiner kleinen Villa in Careggi lebte, hatte
man ihn verdächtigt, ein ganz junges Mädchen verführt zu haben. Acht
Signori, die der Rechts-Kommission angehörten, hatten seine Gefan-
gennahme beantragt, ihn aber dank seiner hohen Protektion nur zu
einer hohen Geldstrafe verurteilt. Dieses Ereignis hat in ganz Italien
viel Lärm gemacht. Varchi hatte all seine Freunde, Fürsten und Prä-
laten aufgeboten, um für ihn beim Mediceer zu bitten. Als er auf freien
Fuss gesetzt wurde, zog er sich aufs Land zurück, um der allgemeinen
Empörung aus dem Wege zu gehen. Tullia, die Varchi aus Rom oder
aus Venedig kannte, war es sehr darum zu tun, ihn nach Florenz zu
ziehen, um eine Stütze in der Gesellschaft an ihm zu haben. Sie schickte
ihm Briefe und Sonette, um ihn zur Rückkehr zu bewegen:
Varchi, il cui raro ed immortal valore,
Ogni anima gentil subito invoglia,
ROM
condizione d’animo e di corpo“. Aber in der reichen grossen Stadt fand
sie bald ihre Frische und ihre Gesundheit wieder; obgleich sie vierzig
Jahre alt war, sah sie noch ausgezeichnet aus, und einer ihrer Verehrer
besingt damals ihren Körper, der weisser sei als Alabaster und schim-
mernder Schnee. Die Frauen beneideten sie um ihre schöne Hand, ihr
Gesang wurde bewundert, und die Florentiner staunten immer aufs
neue über die Leichtigkeit, mit der sie ein Gespräch zu führen wusste.
Wieder wurde sie mit Sappho und Corinna verglichen.
In der ihr fremden Stadt scheint Tullia nach einem Protektor ge-
sucht zu haben, sie fand ihn in Benedetto Varchi, dem berühmten
Dichter und fesselnden Menschen. Den verbannten Varchi hatte der
Herzog Alessandro de1 Medici kürzlich berufen, damit er Vorlesungen
über Literatur an der Academia degli FJmidi halte. Sein grosser Name
ging ihm voraus, die Leute blieben auf der Strasse stehen, wenn er
vorbeiging, um ihm nachzusehen. Varchi ist der Verfasser einer heute
sehr hoch geschätzten Geschichte von Florenz, aber das Publikum
kannte damals nur seine Liebes- und Gelegenheitsgedichte mit jenem
seltsam spöttischen Zug, den Berni in die italienische Poesie eingeführt
hatte. Daher wurden diese Gedichte „poesia bernesca“ genannt, der
Hinweis genügt, dass unter Varchis Erzeugnissen sich das Lob von
Schweinsfüsschen und Landkäse oder der Tadel harter Eier befindet.
Varchis Ruhm basierte nicht auf seinen Verdiensten und sittlichen
Plandlungen. Er gehört zu jenen Menschen, nach deren Privatleben
man am besten nicht fragt. Ziemlich unmittelbar vor Tulliens Ankunft
in Florenz, als er noch in seiner kleinen Villa in Careggi lebte, hatte
man ihn verdächtigt, ein ganz junges Mädchen verführt zu haben. Acht
Signori, die der Rechts-Kommission angehörten, hatten seine Gefan-
gennahme beantragt, ihn aber dank seiner hohen Protektion nur zu
einer hohen Geldstrafe verurteilt. Dieses Ereignis hat in ganz Italien
viel Lärm gemacht. Varchi hatte all seine Freunde, Fürsten und Prä-
laten aufgeboten, um für ihn beim Mediceer zu bitten. Als er auf freien
Fuss gesetzt wurde, zog er sich aufs Land zurück, um der allgemeinen
Empörung aus dem Wege zu gehen. Tullia, die Varchi aus Rom oder
aus Venedig kannte, war es sehr darum zu tun, ihn nach Florenz zu
ziehen, um eine Stütze in der Gesellschaft an ihm zu haben. Sie schickte
ihm Briefe und Sonette, um ihn zur Rückkehr zu bewegen:
Varchi, il cui raro ed immortal valore,
Ogni anima gentil subito invoglia,