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Chłe̜dowski, Kazimierz
Rom (Band 2): Die Menschen des Barock — München, 1912

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https://doi.org/10.11588/diglit.42834#0503
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BERNINI

4a3
In seiner Jugend war Michelangelo sein höchstes Ideal in der Kunst;
später hat er zwar Ehrfurcht vor seinem grossen Vorgänger empfun-
den und häufig wiederholt: „Siccome diceva il Michel Angelo Buona-
rotta“, aber das war eine blosse Phrase, denn der alte Bernini war
auf ein ganz anderes Schönheitsideal eingestellt.
Der Verkehr mit Geistlichen, namentlich mit Jesuiten, mit denen er
sehr befreundet war, hat eine vollständige Umwandlung in seinen Vor-
stellungen bewirkt und alle Überbleibsel der Renaissancekultur in
ihm verwischt. Welcher Unterschied zwischen seinem David in der
Galerie Borghese, diesem leidenschaftlich agierenden Menschen und
Konstantin dem Grossen, der apokalyptischen, in Fieberträumen er-
dachten Gestalt! Skelette hat Michelangelo nicht geschaffen, aber auch
nicht sinnliche Frauen mit geschwelltem Busen, diese neuen Lie-
besgöttinnen unterhalb der Denkmäler, diese halbwüchsigen Engel,
in denen schon das Blut der Leidenschaft spielt. Je mehr man im
XVII. Jahrhundert die gesunde Sinnlichkeit knebeln wollte, desto mehr
verwandelte sie sich in eine krankhafte Leidenschaft, die sich in den
verschiedensten Formen manifestiert. Sinnlichkeit hat ihre Existenz-
berechtigung, durch Leidenschaft erneuert sich die Menschheit; ge-
waltsame Eindämmungen eines natürlichen Triebes bewirken nur
Katastrophen. Je mehr die Geistlichkeit im XVII. Jahrhundert darauf
ausging, die Nacktheit der Statuen zu bedecken, desto mehr suchten die
Künstler nach Möglichkeiten, auch in bekleideten Gestalten den Eindruck
sinnlicher Leidenschaft zu erwecken. Vergleicht man die lieblich-be-
scheidenen Madonnen eines Filippino Lippi, Botticelli, Ghirlandajo
und selbst die eines Perugino und Raffael mit den Marien des Barock,
oder die Heiligengestalten in den Nischen in Or S. Michele zu Florenz mit
jenen von S. Peter, so überkommt einem das Empfinden, dass die Barock-
künstler ihre Gestalten im Rausch und in künstlicher Steigerung ge-
schaffen haben. Den Geist edler Frömmigkeit finden wir im XVII. Jahr-
hundert nicht mehr, Skelette und ausgelassene Weiber herrschen.
Seltsamerweise war aber nie soviel von Natürlichkeit in der Kunst
die Rede wie im XVII. Jahrhundert; „naturalezza“ war das Losungs-
wort der Künstler, die unter dem Einfluss der Kirche standen. Der
Jesuit Ottonelli gab unter dem Pseudonym Odomenico Lelonotti zusam-
men mit dem Maler Barettini aus Cortona 1662 einen Traktat über
Malerei und Plastik heraus, in dem er ausdrücklich vorschreibt, dass
kirchliche Bilder „Le sacre imagini“ sich nach Möglichkeit der Natur
 
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