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wölbt und unten von Predellen begleitet sich anschließen. Ebenso, doch ohne
Mittelbild, ordnet sich die Ostwand um den Grufteingang, während das Seiten-
thor der westlichen ihr nur für drei statt vier Hauptbilder Raum läßt. Es sind
demnach der letztem fünfzehn im Ganzen; ihre Gestalten, wie die der beiden
Mittelbilder von übermenschlicher Größe.
Ihren Inhalt zunächst im Allgemeinsten mit wenigen Worten anzudeuten,
entlehnen wir diejenigen des Textes, der die vervielfältigten Umrisse begleitet,
und den wir uns wohl von dem Meister selbst, wenn nicht verfaßt, doch inspi-
rirt und gebilligt denken dürfen. „Der Gegenstand des Bildercyklus," heißt es
dort, „sind die allgemeinen und höchsten Schicksale des Menschengeschlechts nach
der ewig gültigen Weltanschauung der heiligen Bücher des Christenthums. Das
Walten der göttlichen Gnade, der Sünde der Menschen gegenüber, die Er-
lösung von Sünde, Verderben und Tod, der Sieg des Lebens und der Un-
sterblichkeit wird den Beschauern in ernsten Bildern vorgeführt." —
Und weiter: „Die Einteilung des Ganzen, bedingt durch die architektoni-
sche Form, erfolgt in der Weise, daß die östliche und westliche Wand die Er-
scheinung Christi auf Erden, die durch ihn vollbrachte Erlösung der Menschheit
und die Errichtung des neuen Bundes vergegenwärtigen, während die Gemälde
der südlichen Wand die Gründung seiner Kirche, dir Fortsetzung seines Werks
durch die Apostel und die Verbreitung des Evangeliums, die nördliche den
Schluß, die letzten Dinge, veranschaulicht."
Wir haben es also, wie aus dem oben Angeführten hervorgeht, nicht mit
einer einfachen Folge, sondern mit etwas unvergleichlich Höherem, mit einem
sinn- und kunstvoll gegliederten Organismus zu thun, in dem jede Wand ein
selbständiges Glied, ja wiederum ein Ganzes für sich, mit eigener Symmetrie
seiner Theile bildet, und unsre ebenso schwierige als anziehende Aufgabe wird
es sein, in unsrer Betrachtung dem Gesetz dieses wunderbaren Organismus so
weit wir vermögen nachzugehen. Wir werden sehen, wie die Hauptdarstellungen
jeglicher Wand sich hier um einen geistigen und sichtbaren Mittelpunkt ordnen,
dort (an der Ostseite) den gemeinsamen Gedanken im Nebeneinander erschöpfend
aussprechen; wie mit jeder Hauptdarstellung ihr Lünettenbild zu Häupten, ihr
Stafselbild zu Füßen in mehr oder minder unmittelbarem, aber stets bedeutungs-
vollem Zusammenhang stehen, — „mit Ausnahme," wie der Text bemerkt, der
Predellen der vierten Wand, „wo sie aus diesem engern Verhältniß (zum jedes-
maligen Hauptbild) gelöst, bei einer unmittelbaren Beziehung zu einander, dem
Hauptgedanken der ganzen Wand sich unterordnen." Wir werden seines Orts
auch sehen, daß diese Ausnahme mehr eine scheinbare als wirkliche ist.
Fragen wir nun aber nach dem gemeinsamen Gesetz, das diese Theile und
Gegensätze zur Totalität, diese reichentwickelten Glieder zum lebendigen Leibe
zusammensaßt, so tritt es uns verkörpert in acht Kolossalgestalten oder vielmehr
Gruppen entgegen, die auf reich verzierten Piedestalen, gleichsam statuarisch ge-
dacht, die Stellen zwischen je zwei Hauptdarstellungen einnehmen. Es sind die
acht „Seligkeiten" der Bergpredigt, großartige Männer- und Frauenbilder ver-
schiedenen Alters und Charakters, von kraftvoll lieblichen Kindergestalten be-
gleitet, und jede in Ausdruck und Situation den gemeinsamen Grundgedanken
wölbt und unten von Predellen begleitet sich anschließen. Ebenso, doch ohne
Mittelbild, ordnet sich die Ostwand um den Grufteingang, während das Seiten-
thor der westlichen ihr nur für drei statt vier Hauptbilder Raum läßt. Es sind
demnach der letztem fünfzehn im Ganzen; ihre Gestalten, wie die der beiden
Mittelbilder von übermenschlicher Größe.
Ihren Inhalt zunächst im Allgemeinsten mit wenigen Worten anzudeuten,
entlehnen wir diejenigen des Textes, der die vervielfältigten Umrisse begleitet,
und den wir uns wohl von dem Meister selbst, wenn nicht verfaßt, doch inspi-
rirt und gebilligt denken dürfen. „Der Gegenstand des Bildercyklus," heißt es
dort, „sind die allgemeinen und höchsten Schicksale des Menschengeschlechts nach
der ewig gültigen Weltanschauung der heiligen Bücher des Christenthums. Das
Walten der göttlichen Gnade, der Sünde der Menschen gegenüber, die Er-
lösung von Sünde, Verderben und Tod, der Sieg des Lebens und der Un-
sterblichkeit wird den Beschauern in ernsten Bildern vorgeführt." —
Und weiter: „Die Einteilung des Ganzen, bedingt durch die architektoni-
sche Form, erfolgt in der Weise, daß die östliche und westliche Wand die Er-
scheinung Christi auf Erden, die durch ihn vollbrachte Erlösung der Menschheit
und die Errichtung des neuen Bundes vergegenwärtigen, während die Gemälde
der südlichen Wand die Gründung seiner Kirche, dir Fortsetzung seines Werks
durch die Apostel und die Verbreitung des Evangeliums, die nördliche den
Schluß, die letzten Dinge, veranschaulicht."
Wir haben es also, wie aus dem oben Angeführten hervorgeht, nicht mit
einer einfachen Folge, sondern mit etwas unvergleichlich Höherem, mit einem
sinn- und kunstvoll gegliederten Organismus zu thun, in dem jede Wand ein
selbständiges Glied, ja wiederum ein Ganzes für sich, mit eigener Symmetrie
seiner Theile bildet, und unsre ebenso schwierige als anziehende Aufgabe wird
es sein, in unsrer Betrachtung dem Gesetz dieses wunderbaren Organismus so
weit wir vermögen nachzugehen. Wir werden sehen, wie die Hauptdarstellungen
jeglicher Wand sich hier um einen geistigen und sichtbaren Mittelpunkt ordnen,
dort (an der Ostseite) den gemeinsamen Gedanken im Nebeneinander erschöpfend
aussprechen; wie mit jeder Hauptdarstellung ihr Lünettenbild zu Häupten, ihr
Stafselbild zu Füßen in mehr oder minder unmittelbarem, aber stets bedeutungs-
vollem Zusammenhang stehen, — „mit Ausnahme," wie der Text bemerkt, der
Predellen der vierten Wand, „wo sie aus diesem engern Verhältniß (zum jedes-
maligen Hauptbild) gelöst, bei einer unmittelbaren Beziehung zu einander, dem
Hauptgedanken der ganzen Wand sich unterordnen." Wir werden seines Orts
auch sehen, daß diese Ausnahme mehr eine scheinbare als wirkliche ist.
Fragen wir nun aber nach dem gemeinsamen Gesetz, das diese Theile und
Gegensätze zur Totalität, diese reichentwickelten Glieder zum lebendigen Leibe
zusammensaßt, so tritt es uns verkörpert in acht Kolossalgestalten oder vielmehr
Gruppen entgegen, die auf reich verzierten Piedestalen, gleichsam statuarisch ge-
dacht, die Stellen zwischen je zwei Hauptdarstellungen einnehmen. Es sind die
acht „Seligkeiten" der Bergpredigt, großartige Männer- und Frauenbilder ver-
schiedenen Alters und Charakters, von kraftvoll lieblichen Kindergestalten be-
gleitet, und jede in Ausdruck und Situation den gemeinsamen Grundgedanken