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Doch hat die Kirche, die Gemeinde Christi, ihre Verheißung und das Evan-
gelium ist und bleibt eine Gotteskraft zur Beseligung der Menschheit. Diese aber
muß durch rationalistische und naturalistische Zeiten, das Evangelium muß durch
den Streit der Meinungen und durch das Gericht des Zweifels hindurch und
Perioden äußerster Veräußerlichung müssen tieferer Verinnerlichung Bahn machen.
Wenn die Erde lange genug sich von der Sonne entfernt hat, wird sie von dieser
doch wieder angezogen, erleuchtet, erwärmt und mit neuen Blüthen und Früchten
gesegnet. Der Gott des Evangeliums ist ein Gott der Hoffnung. Auch die Hoff-
nung auf eine Rückkehr der Gebildeten unseres deutschen Volkes zu dem Urquell
seines tieferen Gemüthes und seiner edleren Begeisterung wird nicht zu Schanden
werden. Denn Gott wird auch seine Deutschen nicht verlassen, ob sie gleich von
ihm wichen, wie der verlorene Sohn, dessen Geschichte Meister Führich so köstlich
geschildert hat. So unharmonisch und vielfach unerquicklich die Stimmung war,
mit der wir diese Weltausstellung durchliefen — dort hinten in einem stillen Win-
kel, wohin der Fuß der rauschenden, gaffenden Menge nicht leicht kam, vor den
Originalzeichnungen des Meisters zu der unvergleichlich schönen Parabel fanden wir
etwas vom Frieden Gottes mitten in der friedelosen Zeit und Welt.
Die neue Waldenserkirche ;u Klein-Mars.
Von Dollinger.
Unter den deutschen Ländern, in welchen die um ihres evangelischen Glaubens
willen von den Herzogen von Savoyen aus ihren heimatlichen Alpenthälern Ver-
triebenen gegen das Ende des siebenzehnten Jahrhunderts gastliche Aufnahme und
Herberge suchten, war es nächst der Pfalz, wo man aber aus politischen Gründen
wegen des zwischen Frankreich und dem Kaiser ausgebrochenen Krieges die schon
vorbereitete Ansiedelung wieder rückgängig machte, auch Württemberg gewesen, das
aus confessioneller Eifersucht gegen die calvinistisch gearteten Flüchtlinge unter den
drohenden Gutachten des Kanzlers Johann Adam Oslander und der übrigen Tü-
binger Theologen den guten Willen des damaligen Administrators Friedrich Carl
zu lähmen wußte, so daß die bereits 1688 zuerst nach Kirchheim gewiesenen, dann
in der Gegend von Maulbronn und namentlich auf der Markung des jetzigen
Villars eingezogenen Waldenser sich zum Abzug rüsten mußten. Wie viel besser
ging es jenen, welche den weiten Weg von Basel den Rhein hinab bis Germers-
heim und von da zu Fuße über Frankfurt nm Main, Marburg, Cassel und Son-
dershausen der Einladung des großen Kurfürsten Friedrich Wilhelm II. von Bran-
denburg, der selbst dem reformirten Bekcnntniß ergeben und ein ebenso gottesfürch-
tiger als Politisch weitschauender Fürst war, folgten. Diese kamen zuerst in das
durch mehrere Feuersbrünste heimgesuchte und von einem namhaften Theil seiner
Bevölkerung verlassene Stendal, die spätere Geburtsstütte Winkelmann's und die
Heimat der Vorfahren Bismarck's, und richteten sich hier, freilich nicht ohne man-
Doch hat die Kirche, die Gemeinde Christi, ihre Verheißung und das Evan-
gelium ist und bleibt eine Gotteskraft zur Beseligung der Menschheit. Diese aber
muß durch rationalistische und naturalistische Zeiten, das Evangelium muß durch
den Streit der Meinungen und durch das Gericht des Zweifels hindurch und
Perioden äußerster Veräußerlichung müssen tieferer Verinnerlichung Bahn machen.
Wenn die Erde lange genug sich von der Sonne entfernt hat, wird sie von dieser
doch wieder angezogen, erleuchtet, erwärmt und mit neuen Blüthen und Früchten
gesegnet. Der Gott des Evangeliums ist ein Gott der Hoffnung. Auch die Hoff-
nung auf eine Rückkehr der Gebildeten unseres deutschen Volkes zu dem Urquell
seines tieferen Gemüthes und seiner edleren Begeisterung wird nicht zu Schanden
werden. Denn Gott wird auch seine Deutschen nicht verlassen, ob sie gleich von
ihm wichen, wie der verlorene Sohn, dessen Geschichte Meister Führich so köstlich
geschildert hat. So unharmonisch und vielfach unerquicklich die Stimmung war,
mit der wir diese Weltausstellung durchliefen — dort hinten in einem stillen Win-
kel, wohin der Fuß der rauschenden, gaffenden Menge nicht leicht kam, vor den
Originalzeichnungen des Meisters zu der unvergleichlich schönen Parabel fanden wir
etwas vom Frieden Gottes mitten in der friedelosen Zeit und Welt.
Die neue Waldenserkirche ;u Klein-Mars.
Von Dollinger.
Unter den deutschen Ländern, in welchen die um ihres evangelischen Glaubens
willen von den Herzogen von Savoyen aus ihren heimatlichen Alpenthälern Ver-
triebenen gegen das Ende des siebenzehnten Jahrhunderts gastliche Aufnahme und
Herberge suchten, war es nächst der Pfalz, wo man aber aus politischen Gründen
wegen des zwischen Frankreich und dem Kaiser ausgebrochenen Krieges die schon
vorbereitete Ansiedelung wieder rückgängig machte, auch Württemberg gewesen, das
aus confessioneller Eifersucht gegen die calvinistisch gearteten Flüchtlinge unter den
drohenden Gutachten des Kanzlers Johann Adam Oslander und der übrigen Tü-
binger Theologen den guten Willen des damaligen Administrators Friedrich Carl
zu lähmen wußte, so daß die bereits 1688 zuerst nach Kirchheim gewiesenen, dann
in der Gegend von Maulbronn und namentlich auf der Markung des jetzigen
Villars eingezogenen Waldenser sich zum Abzug rüsten mußten. Wie viel besser
ging es jenen, welche den weiten Weg von Basel den Rhein hinab bis Germers-
heim und von da zu Fuße über Frankfurt nm Main, Marburg, Cassel und Son-
dershausen der Einladung des großen Kurfürsten Friedrich Wilhelm II. von Bran-
denburg, der selbst dem reformirten Bekcnntniß ergeben und ein ebenso gottesfürch-
tiger als Politisch weitschauender Fürst war, folgten. Diese kamen zuerst in das
durch mehrere Feuersbrünste heimgesuchte und von einem namhaften Theil seiner
Bevölkerung verlassene Stendal, die spätere Geburtsstütte Winkelmann's und die
Heimat der Vorfahren Bismarck's, und richteten sich hier, freilich nicht ohne man-