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Christliches Kunstblatt für Kirche, Schule u. Haus — 16.1874

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Nr. 5 (1. Mai 1874)
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https://doi.org/10.11588/diglit.42367#0084
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man auch schon in romanischer Zeit auf diese Stellung des Thurmes zu den an-
dern Haupttheilen der Kirche kommen konnte, nachdem man die älteste Art, die
Thürme isotirt neben die Kirche zu stellen (vgl. Sindelfingen), verlassen hatte.
Faktisch aber hat Verfasser bis jetzt nur wenige Kirchen dieser Grundanlage ge-
funden, bei welche^ Spuren an den verschiedenen Theilen der Kirche auf Grund-
anlage des Ganzen in romanischer Zeit zurückwiesen, die zu Ältbulach und Lie-
benzell, wo der Thurm südlich steht; um so mehr aber solche, bei welchen der
an allen Kirchcntheilen gleichmäßig herrschende Stil die Entstehung des Ganzen in
der gothischen Zeit außer Zweifel setzt. So ist es z. B. bei den Kirchen zu
Eberdingen, Groß-Glattbach (Markuskirche 1403), Nußdorf (Kirche zum
heil. Kreuz), Hailfingen, Magst att. Ja es scheint, daß in der gothischen
Zeit diese Stellung des Thurmes zur Kirche, bei welcher es sich recht bequem schickte,
das untere Stockwerk des Thurms zur Sakristei zu verwenden, so sehr beliebt
wurde, daß auch ältere Kirchen zu dieser Form umgewandelt wurden. So finden
wir es wenigstens in Gemmrigheim und Hessigheim, daß an dem bei der
alten romanischen Kirche östlich gestandenen, deren Chorabschluß bildenden Thurm
der Triumphbogen zugemauert, dafür ein seitlicher Eingang eingebrochen wurde
und so der Thurm auf die Südseite der in Chor und Schiff neu gebauten Kirche
gestellt werden konnte. Wir sehen aus diesem Verfahren wieder, wie sehr man in
der gothischen Zeit sich bestrebte, von den alten Kirchen zu erhalten bei der gothi-
schen Umformung, was irgend möglich war, insbesondere die am meisten kostenden
Thürme, und mögen daraus eine neue Bestätigung schöpfen für die Richtigkeit
unsrer Auffassung bei den unter 2) aufgeführten Kirchen.- In Aidlingen und
Dagersheim wird der beidemal nördlich stehende Thurm als älter denn die
sonst gothische Kirche angegeben. In Nufringen ist er entschieden romanisch bei
gleicher Stellung. In umgekehrter Weise wurde die hier besprochene Anlage her-
beigeführt bei der Martinskirche zu Oberlenningen. Hier ist das dreischiffige
Langhaus der alte Theil und geht dasselbe wenigstens iu's kl. Jahrhundert zurück
nach dem Stil der ganz einfachen Würfelkapitäle der Säulen und der diese ver-
bindenden Arkaden, welcher mit dem der 1060 gebauten Aureliuskirche zu Hirsau
übereiukommt; auch berichtet eine Inschrift über dem Westportal von der 1326
vollendeten renovaaio monustarii. Diesem alten Langhaus wurde aber um's
Jahr 1495 ein gothischer Chor vorgerückt und ein Thurm gegen Süden zur Seite
gesetzt. Habeu wir so Beispiele gefunden, wie auf verschiedenste Weise in der gothi-
schen Zeit an älteren Kirchen eine Anlage mit südlicher oder nördlicher Stellung
des Thurms herbeigeführt wurde, während eine andre Stellung desselben gewiß
ebenso leicht Hütte erzielt werden können, und finden wir daneben eine Reihe ur-
sprünglich und ganz gothischer Kirchen mit dieser Anlage; so dürften wir-berechtigt
sein zu sagen: fleht der Thurm auf der einen oder anderen Seite des Chors, so
ist in der Regel anzunehmen, daß die Grundanlage in der gothischen Zeit ent-
standen ist. Und zwar scheint auch bei den Kirchen dieser Art die Zeit des fünf-
zehnten Jahrhunderts weitaus in den meisten Fällen als Zeit ihrer Erbauung
angenommen werden zu dürfen; in diesem Jahrhundert muß nach allen Anzeichen
die regste Banthätigkeit in unserem Lande geherrscht haben. Es dürfte überflüssig
 
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