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Christliches Kunstblatt für Kirche, Schule u. Haus — 21.1879

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Nr. 10 (1. Oktober 1879)
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https://doi.org/10.11588/diglit.42372#0160
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Lite r a t n r.
Strußlmrgcr Alüilsterbüchleiu. Eine populäre Darstellung auf Grund der neuesten
Forschungen von Prof. IN. F. D Kraus. Mit 2 Holzschnitten und einer
Rundansicht der Umgegend von Straßburg. Straßburg, Druck uud Verlag
vou R. Schultz u. Co. 1877.
Ein kleiner Führer in, um und ans das Münster, populär zwar nicht,
denn wo könnte ein deutscher Professor wirklich volksthümlich und allgemein-
verständlich schreiben, auch wenn er so gut schriebe, als Hr. Prof. Kraus, der
als Lehrer der Kirchengeschichte von Straßburg nach Freiburg übcrgesiedelte
Altertumsforscher; aber für jeden höher geschulten Münster- und Kirchenfreund
sehr lehrreich ist diese kurze Zusammenfassung der neuesten Forschungen, wie sie
in desselben Verfassers beschreibender Statistik von „Kunst und Alterthum im
Unterelsaß" 1876 zusammengestellt sind. Geschichte, Baubeschreibung, die Sculp-
turen nnd das Mobiliar, zu welchem auch die zwar vielen, aber nicht künstlerisch
hervorragenden Glasgemälde in den Fenstern gerechnet sind, sind in den vier
Abschnitten des Büchleins, welches sich dem Reisenden trefflich zum Führer in,
um und auf das Münster darbietet, alles Wesentliche klar nud übersichtlich be-
schrieben. Die Westansicht vom Münster, die berühmte Uhr und die Umgebung
Straßburgs wird durch kleine Holzschnitte veranschaulicht.
Wir können nicht umhin, einige Seltsamkeiten daraus anzuführen. Neben
dem schönen spätgothischen Orgelgehäuse traten einst zwei affenartige Figuren
hervor und konnten durch Blasbälge in Bewegung gesetzt werden. Am Psingst-
feste stiegen, was offenbar dem Volke lange verheimlicht wurde, zwei Münster-
knechte in die inwendig hohlen „Rohraffen" hinein, um da ihren Spaß zu
treiben. Die Rohraffen hatten das Recht, während des Pfingstg ottes-
dienstes laut zu lachen, zu schreien, allerlei Lieder zu singen, die Bauern und
andere Leute zu verhöhnen und selbst gegen die im Chor singende Geistlichkeit
ihren Spott auszulassen. Dieser dem sonstigen „Ostergelächter" entsprechende
Spaß war eine Ausgeburt des fröhlichen Humors, der das ganze Mittelalter
beseelte und der ebenso für den naiv-kindlichen Sinn des Volkes, wie für die
äußerst feste Stellung der Geistlichkeit zeugt, welche ohne Schädigung ihres
Ansehens solche Narreteien in den Kirchen ertragen konnte. Als im Jahre
1352 „der Göcker," d. i. der noch jetzt im Frauenhause aufbewahrte Hahn
bei der Uhr aufgcrichtet wurde und vor jedem Stundenschlag zu krähen und die
Flügel zu schlagen anhub, da war die unbeschränkte Herrschaft des Rohraffen
vorüber; beide theilten sich in die Gunst der Menge, was einen langwierigen,
in einem alten Liede von 1552 beschriebenen „Kampf des Roh raffen mit
dein Hahnen" zur Folge hatte. Erst Geiler von Kaisersberg drang 1501
auf Abschaffung des von den Rohraffen getriebenen Unfugs. In der Reforma-
tionszeit wurden die Figuren zerstört.
Dagegen setzte einer der ersten Reformatoren Straßburgs, Herr Zimprian,
so nannte man den Pfarrer von St. Martin und Münsterprediger Syun
Phorian Pollig (Altbüßer) voll 1521—1523, — das Volk in Erstaunen durch
die Waghalsigkeit, mit welcher er auf der Brüstung der Plattform
 
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