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ohne tüchtige Schläge davongekommen, so dürfen die fern Gebliebenen schwerlich
an die Brnst schlagen nnd sagen: „ich danke dir Gott, daß ich nicht bin wie
diese Leute, Räuber, Ungerechte, Ehebrecher oder auch wie dieser Zöllner." Die
gewählte deutsche Gemäldeausstellung auf dem Pariser Marsfelde hatte sich die
Achtung auch unserer Gegner erworben, welche uns wenigstens im Kleinen eine
gewisse Größe zuerkennen und deutsche Gemüthlichkeit anerkennen mußten. Nun
wollte man sich in ganzer Größe, in voller Höhe zeigen nnd die Welt sollte
gerade an der Stätte, wo religiöse Weihe und idealer Schwung einst die deulsche
Kunst zu höchsten Ehren gebracht hat, Massenuntcrricht erhalten in der Wissen-
schaft davon, wie wir's seit Strauß und Häckel, Schopenhaner und Hartmann
so glänzend weit gebracht im öffentlichen Abfall von Idee und Ideal, von
Glauben und Christenthum, von achter Bildung und wahrer Kunst.
Aeußcrlich zwar ist die Ausstellung gelungen. Das Unternehmen hat seine
Kosten bezahlt und noch einen stattlichen Ueberschuß erzielt. Auch die Lotterie
wird bis Februar wohl noch ihre 70000 Zettel absetzen. Dann werden die
Künstler, deren Erlös man auf eine und eine halbe Million schätzt, immerhin,
einen guten Markt gemacht haben. Was will man heute mehr? — Die besten
Käufer waren die nicht nach Idealen suchenden Amerikaner. — Wir gönnen ihnen
alle die Bilder, die da sind nach ihrem Bilde. Wir gönnen ihre Dollars unfern
Künstlern von Herzen. Aber wir möchten eben auch unserm deutschen Volk und
Herz einen andern, höheren, bleibenden Gewinn nnd Genuß aus so großer Blühe
des Schassens und Treibens und saurer Arbeit des Sehens gönnen.
Man rühmt, daß so viele Tausende aus der Ferne herangekommcn sind, die
Kunstausstellung zu sehen. Man ist erfreut, daß selbst das bajuvarische Landvolk
Sonntags sich durch die labyrinthischen Gänge des großen Glashauses gedrängt hat.
Was werden sie da alles gesehen, gelernt, gewonnen haben? Ja was gewinnt
man denn überall und überhaupt in so großen Schaustellungen? Selbst wenn
die in München aufgestapelten mehr als 1500 Gemälde lauter Perlen gewesen
wären, welches Auge, welches Gedächtniß, welche Phantasie wäre stark genug,
die Fülle der Eindrücke von Form und Farbe, Gestalt und Gehalt zu fassen?
Ein Bild muß ja das andere verdrängen und tödten, keines kann unter einer
solchen Masse ganz und voll wirken. Geübte Kenner brauchten Wochen, um sich
in diesem Kunstwaldc auszukennen und nach Wochen haben sie immer wieder
Neues entdeckt; was soll's mit denjenigen werden, welche nur einige Tage oder
gar Stunden den Wald vor lauter Bäumen nicht sehen konnten? War's für sie
mehr als ein schöner Traum, in welchem die Bilder bunt durch einander gingen?
Wie vielen gieng's viel besser als jenem Schüler, dem von allem ward so dumm,
als gieng ein Mühlrad im Kopf herum? Der größte Theil der Besucher brachte
kein Kunstbedürfniß mit und trug sicher keines mit nach Hause. Der starke
Besuch solcher Gelegenheiten beweist noch gar nichts für Frucht und Wirkung;
es gehört eben zur „Bildung," d. h. zur Mode. Alan reist ohnehin so gern
und gewiß mehr, als für Kopf und Herz, Häuslichkeit und Vermögen gut ist,
die Verkehrsmittel locken, man muß doch sagen können, man sei auch dort gewesen,
darum gieng man auch nach München. Wenn aber Rohheit durch Rohheit gebildet
 
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