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Christliches Kunstblatt für Kirche, Schule u. Haus — 50.1908

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Nr. 1 (Januar 1908)
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https://doi.org/10.11588/diglit.44122#0008
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ivir jetzt schon in der protestantischen Kirche adäquate Formen haben, weder
für den seelischen Ausdruck der Heilandsgeschichten, noch für den technischen Aus-
druck der Bedürfnisse der sich gottesdienstlich darstellenden Gemeinde.
Daß aber ein Neues im Werden ist, das haben wir ohne allzu viele Philo-
sophenie die Jahre herein in praktischen, geschichtlich werdenden Kunstwerken zu
beweisen gesucht. Es ist dabei die reine Aesthetik zu kurz gekommen. Aber was
helfen uns die schönsten ästhetischen Systeme, wenn die Künstler nicht nach ihnen
malen, hauen und bauen!
Und doch führt auch die Aesthetik auf den ersten scheinbaren Programm-
wechsel. Wir wollen die Aesthetiker doch etwas mehr hören. Der neuere Philo-
soph, der vielleicht die tiefsten Worte über religiöse Kunst gesagt hat, Planck,
wird den Anfang in den nächsten Heften machen. 'In der Einleitung zu seiner
Rede in Dresden auf dem Kirchenbautag hatte der Herausgeber versucht, seine
eigene Auffassung kurz zu skizzieren. Gesagtes kann unwiederholt bleiben.
Aber über der Aesthetik soll uns die Tat stehen bleiben und die Erkennt-
nis, daß Kunst nicht konstruiert, sondern geschaffen wird. Und doch verzichten
ivir weder auf einen Verkehr mit den Künstlern, noch auf das Recht der Kritik
und die deutliche Aussprache unsrer praktischen Wünsche und Bedürfnisse.
Die Künstler hören gerne den Laien und den „Sachverständigen", an den
viel Wünsche herangetragen werden. Und gerade im Gebiete der Kunst, vor
allem der christlichen Kunst, lassen sich die Laien ihr Recht subjektivster Privat-
Aesthetik ja nicht nehmen, eine Tatsache, die freilich schon manche Entwicklung
protestantischer Kirchenkunst niedergehalten hat.
So werden wir uns also am besten befinden, wenn wir's machen, wie die
Jahre herein auch: ivir lassen Künstler, Kunstgelehrte und Laien reden. Damit
ist unsre Zeitschrift als nicht rein wissenschaftlich charakterisiert. Kunst ist eben
keine Wissenschaft, sondern Leben und zwar Leben in höchster Potenz, verklärtes
Leben geschaut und geschaffen durch ein menschliches Temperament mit der Zweck-
bestimmung, die Stimmungswerte höchster Mcnschcngefühlc auszulöscn und der
Welt der Gedanken die Feiertagsgewandung anzulegen.
Auf die Frage, ob die Kunst tendenzlos sein mnß, wollen wir uns heute
nicht einlasscn. Jedenfalls hat unsre christliche Kunst ihre bestimmte religiöse
Tendenz. Das primäre Motiv bleibt die religiöse Wirkung. Die direkt ethische
Wirkung eines Kunstwerks ist immer ein sekundäres Moment, denn zur Er-
zielung ethischer Wirkungen hat die Menschheit andere Waffen in ihrem Arsenal,
als die Kunst.
Diese Erkenntnis wird uns auch vor dem Wahne bewahren, daß man
durch Kunst Religion ersetzen oder wesentlich steigern oder stützen könne. Wir
verkennen aber nicht, daß die starken ästhetischen Strömungen unseres Zeitalters
auch teilweise religiös bestimmt sind und wissen, daß auch von diesen Kreisen
der Weiterentwicklung der christlichen Kunst Interesse gezeigt wird.
Wir stellen uns in den Dienst der großen Kirche, der Reformation, die
katholische Kirche hatte es nicht nötig, dem kunstliebenden Zeitalter Zugeständ-
nisse zu machcu. Wir sind dazu auf natürliche Wege gekommen. Die, welche
 
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