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Christliches Kunstblatt für Kirche, Schule u. Haus — 50.1908

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Nr. 1 (Januar 1908)
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https://doi.org/10.11588/diglit.44122#0015
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ja ohne Mühe die entsprechende bärtige zur Seite setzen könnte! Wie kann man
nur eincu Augenblick vergessen, daß das Barttragen oder Nichtbarttragen' nichts
als Sache der Mode ist, der sich auch geistreiche Männer mit seltenen Aus-
nahmen fügen, und um so sicherer fügen, je freier sie von Eitelkeit in bezug
auf ihre äußere Erscheinung sind. Lassen mir also diese Behauptungen unseres
neuen „Misopogon" (Barthassers) auf fick beruhen. Sie vertragen ein ernst-
haftes Anfassen kaum.
Sodann marschieren aber auch wissenschaftlich historische Beweise auf, die
dartun sollen, daß Jesus wirklich keinen Bart getragen habe. Sieht man näher
zu, so schrumpfen sie freilich sehr nahe zusammen. F. verrät uns nicht, welche
neuen großen Funde gemacht worden sind, um die klare Tatsache umzustoßen,
daß sich das kirchliche Altertum selbst bewußt gewesen ist, keine Tradition über
Jesu leibliches Aussehen zu besitzen. Eben um die Zeit, als die Legenden von
echten gemalten oder vom Himmel gefallenen Christusbilderu, die Lukas-, Abgar-
uud Verouikasageu, anfingen, Geschichte zu werden, sagt Augustin von Jesus:
gus, kusrit, tucis nos ponitus i«norumu8 (seine Gesichtszüge sind uns gänzlich
unbekannt). Jeder bilde sich vielmehr seine Christusvorstellung nach seiner Phan-
tasie und so sei die unendliche Mannigfaltigkeit der Christusbilder entstanden.
Daß Augustin recht gehaku hat, zeigt jeder Blick in die vorhandene Literatur.
So zeigt schon die älteste Beschreibung der Christusgestalt, die wir haben, in
der Offenbarung Johannis, keine Spur einer Erinnerung an das Aussehen des
Menschen Jesus. Es ist der Erhöhte mit dem Gesicht wie die Sonne, den
Flammenaugen und leuchtend schneeweißen Haaren, der dort in Anlehnung an
das Danielbuch beschrieben wird. Dem Hermas (um 130 n. Ehr.) erscheint
Christus in Gestalt eines riesengroßen Mannes. Andere Erzählungen von
Visionen aus den ersten Jahrhunderten in den apokryphen Apostelgeschichten,
aber auch in den echten Märtyrerakten lassen Christus als schönen, freundlich
lächelnden Jüngling erscheinen, wozu etwa noch das schneeweiße Haar aus der
Offenbarung kommt. Justin der Märtyrer, geb. um 100 u. Chr. in Sichem,
also Palästinenser, und nach ihm eine ganze Reihe von Schriftstellern schreiben
Jesus nach Jes. 53 eine abschreckend häßliche Erscheinung zu. Origeues, der
sich gegenüber den Vorwürfen des Celsus ausdrücklich mit dem Aeußern Jesu
beschäftigt, läßt ihn gar keine bestimmte Gestalt haben, sondern jedem so er-
scheinen, >vie es gerade paffend war. Erst im 4. Jahrhundert beginnt die Be-
rufung auf Ps. 45 „er war der Schönste unter den Menschenkindern" durchzu-
dringen. Kurz überall regiert die dichtende Phantasie oder die dogmatische
Theorie der Theologen, nirgends eine feste historische Erinnerung. Was wird
nun gegen diesen Tatbestand ins Feld geführt? Das, was zu wissen wichtig
wäre, nämlich, daß die Juden zur Zeit Jesu keinen Bart zu tragen pflegten,
wagt F. selbst nicht zu behaupten. Man hat auch in der Tat keine Kenntnis
davon, ob und wie weit die im ganzen alten Testament bezeugte altjüdische
Sitte, wonach der Bart das Ehrenzeichen des freien Mannes war, durch die
römische Bartlosigkeit verdrängt worden wäre. Dagegen will er nut Berufung
auf Paulus, 1. Kor. 14, 11, der das Tragen langen Haares beim Mann als
 
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