Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Christliches Kunstblatt für Kirche, Schule u. Haus — 50.1908

DOI issue:
Nr. 3 (März 1908)
DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.44122#0085
Overview
loading ...
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
66

seit Jahren forderten. Einer von diesen^
Herr Pfarrer Franck in Keeken, hat durch
seine Artikel in der „Deutschen Welt" als
erster die Aufmerksamkeit weiter Kreise auf
das „Bureau zur Vermittluug
k ü u st l e r i s ch e r Grabdenkmäler"
gelenkt, das die „Wiesbadener Ge-
sellschaft für bildende Kunst" im
Anschluß an ihre „Ausstellung zur Hebung
der Friedhof- und Grabmalkuust" errichtete.
Wenn im Anfang einige Anfragen cingingen,
so wußte ich, Pfarrer Franck hat wieder
einen Aufsatz geschrieben! Jetzt freilich
bringt fast jeder Tag ein oder mehrere
Schreiben, die Auskunft in Grabmalssachen
wünschen und über 150 Denkmäler in allen
Gancn Deutschlands legen Zeugnis ab von
der Tätigkeit des Bureaus. Zn den ersten,
die sich einstellten, gehörten wiederum evan-
gelische Geistliche — während der katholische
Klerus sich absolut passiv verhält —- so daß
heute schou fast auf eurem halbeu Dutzend
Grübern von Pfarrern (meist handelt es sich
um die Väter der Anfragendeu) oder Pfarrers-
angehörigen Denksteine stehen, die das Wies-
badener Bureau vermittelte!-
Doch kehren wir zri dem „Flugblatt" zurück. Die Gründe des Verfalls
wie der Wiedererstehung der Grabmalkunst werden dort flüchtig berührt: Bis
zu den vierziger Jahren überall bodenständige, selbst in Handwerkerkreisen
lebendige Kunst mit sicherem, aus alter Tradition erwachsenem Stilgefühl. Dann
unter dem Einfluß der rationalistischen Denkweise der Zeit babylonische Sprach-
verwirrung: Die verstandesmäßige Nachahmung angeblich mustergültiger Formen
führt zu einem von Stoff und Zweck losgelöstem Formalismus oder — durch
Erhebung der Natur zum eiuzig mustergültigen Vorbild — zu gleich stilwidrigem
Naturalismus, bis Hildebrands „Problem der Form" die Befreiung bringt.
Nicht erwähnt aber ist: Der Einfluß der sozialen Schiebungen im 19. Jahr-
hundert: Das Emporstreben des Bürgerstandes, die Umwandlung in den
Industrie- und Handelsstaat, Einflüsse, die Deutschlands Bürgertum für lange
Zeit mit allen Stigmen des Parvenütums behafteten. Hauptäußerung: Die
Sucht, mehr zu scheinen als man ist, darum der Wunsch, Dinge zu kaufen, die
„mehr vorstellen" als sie gekostet haben. Dazu die oben gezeichnete traditions-
und haltlose Kunst. So m ußte jene Talmi-Protzenkunst entstehen, von der wir
uns jetzt erst langsam äußerlich ivie innerlich befreien. Im Jahre 1895 wollte ich
in der Millionärsstadt Wiesbaden eine Studierlampe mit Bronzefuß (d. h. wirk-
 
Annotationen